Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das spanische Medaillon

Das spanische Medaillon

Titel: Das spanische Medaillon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Wolf
Vom Netzwerk:
Sarkophag einsetzen und zudem einen Glockenzug installieren lassen, den er bei Bedarf von drinnen sofort hätte betätigen können.
    Das Personal war angewiesen, nach seiner Einsargung halbstündlich durch das Fenster zu sehen, drei Minuten nach Anzeichen einer Bewegung zu spähen und ihn bei einer solchen umgehend herauszuholen.
    Ich hatte Ludwigia von Kapell, innerlich noch Distanz wahrend, weil der Tatsache eingedenk, dass Branntwein-Seligkeit leicht wieder zu nüchterner Versteinerung werden kann, nach den genauen Stationen des abendlichen Kontrollganges ihres Mannes gefragt. Ich war fest entschlossen, ihr den Mörder zu präsentieren, früher oder später.
    »Erst ging er in die Küche, dann über den Hof in die Stallungen, zu den Pferden, zu den Schweinen, zu den Kühen, anschließend zur Schlachtbank, in die Wurstküche, in die Räucherkammer, dann in die Kapelle. Dort blieb er oft eine ganze Weile im stillen oder weniger stillen Gebet. Bevor er zuletzt in der Familiengruft seine Grabstätte kontrollierte und endlich in sein Schlafzimmer ging, konnten gut und gern zwei Stunden vergangen sein, von dem Moment an, da er aufgebrochen.«
    »Weshalb war er vorgestern im Garten des Pädagogen Johann Ernst Plamann in Berlin? Ich frage es dich, liebe Freundin, weil es uns vielleicht weiterhilft ...«
    »Er wollte ein Freicorps gründen. Plamann und einige andere planen, die deutsche Jugend zur zweiten Armee zu machen, indem sie ihnen das Laufen, Springen und Kämpfen beibringen wollen. Lächerlich, aber immerhin ein Anfang. Da Karl August mit seiner Verwundung in der regulären Armee keine Verwendung mehr finden würde, das Militär jedoch sein Leben geworden war, sann er nach Mitteln und Wegen, wie er wieder gegen Napoleon ins Feld ziehen konnte. Er denkt ... hat gedacht ...«
    Sie kämpfte mit den Tränen, schon ganz rot und gepresst vom verschluckten Weinen.
    »... meinte, er könnte sie zur Gründung eines Vereins zur Rettung der deutschen Ehre oder etwas in dieser Art bereden. Auf dass sie ihm die Jugend zutrieben für seine Truppe. Napoleon hat in seinen Augen die Pöbel-Revolution verkörpert, also alles, was ihn vertrieben und seine Familie zerrüttet hat.«
    »Die Kapells kamen aus Frankreich?«
    »Nein, aus Aachen. Sie besaßen ein Kur- und Badehotel, in dem angeblich einmal Friedrich der Einzige abgestiegen ist.« Ich lachte innerlich und überlegte: Wie viele Gasthöfe in Europa gab es, in denen angeblich auch der große Friedrich einmal abgestiegen war? Wahrscheinlich wäre er sein ganzes langes Leben aus den Kneipen nicht herausgekommen, wenn alle diese Angaben stimmten ... Ludwigia erzählte indessen selbstvergessen weiter:
    »Die Franzosen haben die freie Reichsstadt 1794 besetzt und zur Verwaltungshauptstadt des Départements de la Roer , will sagen: des Ruhrgebiets, gemacht. Aix-la-Chapelle nennen sie es, was in Karl Augusts Ohren sehr höhnisch klingen musste. Die von Kapells waren nämlich die vehementesten Gegner der Revolution. Sein Großvater und sein Vater endeten auf dem Schafott, weil sie ihrer reichsstädtischen Freiheit nicht abschwören wollten. Karl August lebte lange Jahre in der Schweiz, um den Häschern zu entgehen.«
    Mit einem Mal kam nun die ganze Bestürzung wieder über sie. Die Fluten waren schier nicht zu stillen und ich konnte kein vernünftiges Wort mehr aus ihr herausbringen. Die Wirtschafterin, der Kammerdiener und ich brachten sie zu Bett.
    »Oh, besuch mich wieder, meine Teuerste! Ich werde sonst trübsinnig. Ich hätte schon früher so gern länger mit dir gesprochen, doch mein Mann war nie gern in fremder Gesellschaft.«
    Sie hatte es geflüstert, als ich sie mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedete. Der Branntwein tat seine Wirkung und schützte sie vor einem Übermaß an Wachheit. Ich für meinen Teil hatte die gleiche Menge intus, was mir nicht minder zupasskam. Denn obwohl mir Heims mündlicher Untersuchungsbericht vollauf genügt hätte und keine Notwendigkeit vorlag, die Leiche selbst zu betrachten, tat ich im Gefolge des Doktors nun genau das. Wollte ich etwa fraulich-schwächlich-furchtsam einknicken, wo der Mann sich unerschrocken hart und abgebrüht zeigte?
    Die Kapelle war ans Haus anschließend gebaut, hatte jedoch keine Verbindung zu diesem. Drum herum lag der winzige, von einem Eisengatter umgebene Kirchhof, auf dem die Domestiken und die Mitglieder der Familie der Vorbesitzer, der von Eigners, seit dem Dreißigjährigen Krieg ihre letzte Ruhe gefunden

Weitere Kostenlose Bücher