Das spanische Medaillon
schien, dass sie recht hatte. »In der Tat: Hätte ich mir je träumen lassen, so traulich neben Ihnen hier zu sitzen? Ich, die ich in Neu-York und Paris allen Thronen Paroli zu bieten mir geschworen?« Sie wehrte lachend ab: »Ach Sie, Sie übertreiben maßlos! Wenn Sie je einen König beseitigen sollten, na, dann wird er es auch verdient haben. Wollen Sie etwa meinen Friewi vom Thron stoßen?« Wir lachten wieder, obwohl mir keineswegs so leicht und frohgemut ums Herz war. Nein – ich wollte unsern König nicht stürzen, aber die Meinung hätte ich ihm damals gern einmal deutlich gesagt! »Ich denke an etwas weniger dramatische Veränderungen«, spann Königin Luise ihren Gedanken fort. »Wie ich etwa nach Preußen kam und dieses ganze Waffengeklirre verabscheute. Sehen Sie mich jetzt an, in Hosen und Uniformrock und Tschako! (Oder lieber doch das Hütchen? Was meinen Sie?) Lauschen Sie heute mit mir voller Stolz dieser türkischen Musik, die ich damals für das Allerabscheulichste hielt. Dieses klingende Spiel der Armee, dieses Trommelrühren und Marschgepauke ... Und nun will ich sogar ein eigenes Regiment in die Schlacht füh-ren – ich, die ich schon ohnmächtig zu werden drohe, wenn sich an einem meiner Kinder eine Wunde zeigt! Wenn ich mir vorstelle, dass nun wohl so viel Leid losbricht und ich es geschehen lasse ...« Sie fehlte keineswegs mit ihrer Beobachtung. Am Militär begeisterte sie eher die goldene Litze als der blutige Rock. Noch vor wenigen Jahren wäre ich nun einfach ausgestiegen und hätte diese kriegspielende Dame, die so wenig Soldat war wie ich eine Prinzessin, sich selbst überlassen. Doch inzwischen wusste ich um die seltsame Differenz zwischen innerem und äußerem Wesen – sie suchte eben ihrem Land zu dienen, so gut sie konnte, sich dabei der Mittel bedienend, die sie hatte. Warum sollte sie die gute Figur nicht einsetzen, auch wenn die Feinde sie darob verspotteten? »Weibsvolk bei der preußischen Armee« – das war die Spitze des napoleonischen Pressefeldzugs gegen uns. Oh, welche Sottisen gegen die Königin hatte dieses Kaiser-Scheusal drucken lassen! Um auf das Thema zurückzukommen: Auch ich war nicht mehr die Aufbegehrende und Vergnügungssüchtige von einst – wiewohl ich eine durchtanzte Nacht noch immer der am Schreibtisch durchwachten vorziehe. Meinem Land zu dienen, indem ich unserer Königin zur Seite stand, war augenblicklich mein ganzer Lebensinhalt. Nun, in diesem Moment saß ich, das muss ich zugeben, doch es ändert nichts am Gesagten. Ja – man dreht sich, oft unbemerkt für sich selbst, sehr wohl im Leben um die eigene Achse.
Wir brauchten endlos lange, um nach vorne zu kommen, denn wie alle Truppen vor uns mussten auch wir durch ein Kuhdorf hindurch, dessen Straßen durch Trosswagen und Packpferde schier heillos verstopft waren. Später erfuhr ich dass dies Auerstedt gewesen war. Weshalb zum Beispiel sämtliche Wagen eine enge Brücke blockierten, obwohl nur fünfzig Meter weiter eine seichte Furt lag? Ich weiß es nicht zu sagen. Jérôme lenkte unseren Wagen, den zögerlichen Carl entmachtend, samt Königin durch die lustig spritzende Flut, dass es eine Wonne war. Um halb sechs Uhr morgens erreichten wir die Armee auf der Chaussee nach Kösen und kämpften uns durch sie hindurch. Hierbei erfuhren wir, dass bei einem Weiler namens Hassenhausen der Feind gesichtet worden war. Was für eine geballte Macht war doch unsere Armee! Ich hatte dies noch nie zuvor aus dieser Perspektive wahrgenommen. Wir passierten fünf Divisionen und eine sogenannte leichte Brigade, die vor allem aus Füsilieren und Husaren bestand. Die Überlegenheit der preußischen Kavallerie und Artillerie schien uns geradezu erdrückend: 80 Eskadronen, also 8 800 Reiter und 230 Geschütze! Ich setze es aus dem Nachhinein ein, denn gezählt habe ich in meiner Aufregung damals nur die Stunden, die wir brauchten, nach vorn zu kommen: zweieinhalb! Prinz August, der ein Bataillon Grenadiere kommandierte, ritt, als er uns sah, heran und berichtete Ihrer Majestät: »Madame! Die reitende Batterie Graumann vom 2. Bataillon Ihrer Dragoner, an der Spitze der gesamten Armee, ist vorhin im Nebel direkt in französische Kavallerie hineingetrabt und hat sie zurückgetrieben!« Wie aus einem Munde frohlockten wir, wiewohl ich glaubte, einen Schleier der Beklommenheit in den blauen Augen der Königin wahrzunehmen, als der Prinz hinzusetzte, dass Graumann und die Seinen bei den Dörfern Poppel und Taugwitz
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