Das Spektrum der Toten
Magie des Wortes
Man kann den folgenden Fall ernst nehmen, könnte mit ihm sogar eine beängstigende Praxis begründen. Er ließe sich auch als einen eher makabren Kriminalfall bezeichnen, der mörderisch begann und grotesk endete.
Die 40jährige Geschäftsfrau Babette Bölke besaß einen Tabakladen und war eine bemerkenswerte Persönlichkeit, die ebenso energisch wie brutal ihre eigensüchtigen Ziele verfolgte. Was sie tat, tat sie ganz mit dem Einsatz ihrer körperlichen und geistigen Kraft. Ihr Geschäft florierte und brachte ihr einen gewissen Wohlstand. Ihren Ehemann zwang sie mit Schlägen zu unbedingtem Gehorsam. Allein ihre Gestalt wirkte imposant, ihr Auftreten befremdend, ihr leicht entflammbarer Zorn bedrohlich. Ihr schmächtiger und schwerhöriger Mann hatte keine Chance, sich gegen sie zu behaupten. Sie verachtete ihn und fand bei anderen Männern, was sie an ihm vermisste.
Einer dieser Liebhaber war Michael Lucht, ein Bulle von Mann, triebhaft wie sie selber. Das Verhältnis der beiden dauerte bereits zwei Jahre, da starb ihr Mann. Ob es ein natürlicher Tod war, ob ihn die Nichtigkeit seines Lebens an der Seite dieser Frau seelisch niedergedrückt oder ob Babette seinem Tod etwas nachgeholfen hatte, um frei zu sein für ihren Liebhaber, ist offengeblieben. Sie heiratete ihren Liebhaber, erfüllte ihm seine selbst für sie maßlosen sexuellen Ansprüche. Dieses bis zur Erschöpfung getriebene Liebesleben hinderte Babette jedoch nicht daran, sich bereits einige Monate später zusätzlich einen weiteren Beischläfer zu halten.
Bald empfand sie Theo noch aufregender als ihren Ehemann Michael. Nur ein Jahr hatte genügt, um ihre Leidenschaft abzukühlen. Sie wollte Michael nicht mehr und begehrte Theo. Sie bat Theo, ihr Strychnin zu beschaffen, damit sie Michael vergiften könnte. Theo wollte so weit nicht gehen und lehnte ab. Seine Geliebte wurde ihm langsam unheimlich. In einer Art moralischer Entrüstung nannte er Babette vor anderen Leuten eine Hure. Babettes Wut war grenzenlos, sie erhob Klage wegen Beleidigung. Theo rächte sich und verriet Babettes Mann, er sei Babettes Liebhaber gewesen. Michael reagierte darauf wie ein Stier auf ein rotes Tuch.
Er nahm jedoch nicht seinen Nebenbuhler auf die Hörner, sondern seine Frau. Es kam zu Auseinandersetzungen, die sich verschärften, als Babette ihren wegen Beleidigung geführten Prozeß gegen Theo verlor.
Michael war überzeugt, dass er Babette nicht mehr trauen konnte. Er fühlte sich gedemütigt, und mit der Eifersucht wuchs sein Hass. Seine Frau Babette wiederum war nicht gewillt, sich von Michael kontrollieren und beschimpfen zu lassen. Ihre Abneigung gegen ihren Mann wirkte sich bald auch körperlich aus. Sie begann sich ihm im Bett zu verweigern und erreichte damit nur, dass er seine »ehelichen Rechte« mit brutaler Gewalt erzwang. Doch die gemeinsamen Kinder hielten die Ehe auch weiterhin zusammen.
Zu Babettes Kunden im Tabakladen gehörte Manfred Haubold. Haubold hatte keinen festen Job und lebte von Gelegenheitsarbeit. Nebenbei jedoch übte er noch eine sonderbare Tätigkeit aus, die ihm einiges Geld einbrachte: Er führte Heilbehandlungen »auf spiritistischer Grundlage« durch.
Haubold hatte viele okkultistische Bücher gelesen, sich über okkulte Praktiken informiert und die Zunftsprache der Okkultisten einigermaßen beherrschen gelernt. Er hatte sich mit Werken über Hypnose beschäftigt und festgestellt, dass er Menschen hypnotisieren konnte.
Als Babette ihrem Kunden Haubold einmal die Sorgen mit ihrem teilweise gelähmten Kind klagte, versprach ihr Haubold, dem Kind zu helfen.
Haubold nahm die Heilbehandlung in Babettes Wohnung vor. Weil Babettes Mann Michael sich skeptisch über den Heiler geäußert hatte, kam Haubold meist mittags, wenn Michael nicht daheim war.
Haubold meinte, eine solche Erkrankung erfordere eine lange Behandlung. Bald kam er täglich, und Babette verfolgte gespannt seine therapeutischen Maßnahmen. Diese Methode, so erklärte er Babette, habe er selbst erfunden. Sie vereine einen alten Beruf mit moderner Wissenschaft. Er wirke zweifach auf die Krankheit ein: erstens körperlich, indem er seine Hand auf das gelähmte Bein des Kindes auflege und dieser Kontakt seine positive Energie in den Körper des Kindes einfließen lasse. Zweitens, indem er mit der suggestiven Magie des Wortes die Selbstheilungskräfte des Patienten erwecke.
Haubold pflegte dann, nachdem er die Hände auf das Knie des Kindes gelegt
Weitere Kostenlose Bücher