Das Spiel der Nachtigall
als erwartet. »Ihr werdet in Wien sicher jemanden finden, der Euch die Münze wechselt«, sagte Walther.
Die Wirtin nahm die Münze und biss darauf. »Ich habe noch nie eine solche Münze in Händen gehabt«, sagte sie erstaunt, »aber es ist wohl Gold.« Ihr Gesicht veränderte sich: Die Grübchen kehrten auf ihre Wangen zurück. Sie gab die Münze Walther in der Hoffnung, von ihm eine Bestätigung zu bekommen.
»Vielleicht reicht es ja für neue Bänke?«, fragte Walther hoffnungsvoll.
Sie lachte. »Du weißt wirklich nicht viel von Geld, wie? Wenn es Gold ist, dann ist es mehr als genug, um alles in der Schenke zweimal zu kaufen. Das ist mein Glückstag!« Ohne weiteres Federlesens beugte sie sich zu ihm, um ihn auf die Wange zu küssen. Diesmal nahm Walther die Bewegung rechtzeitig genug wahr, um den Kopf so zu drehen, dass ihre Lippen stattdessen die seinen trafen. Viel Übung hatte er nicht, doch er legte all die Aufregung des Tages in diesen Kuss, die Freude, die Furcht und die Sehnsucht nach mehr. Ihr Mund war warm und schmeckte ein wenig nach Milch. Ihre Zunge indes war, nach einem Moment des Erstaunens, gelenkig wie ein Schlänglein und tat unerhörte Dinge mit der seinen; außerdem führte die Wirtin seine Hand so, dass er ihr Herz klopfen spürte.
Als sie sich von ihm löste, neigte sie den Kopf ein wenig zur Seite. »Mathilde«, sagte sie. »Mein Name ist Mathilde. Ich denke, wir beide sollten gleich mit dem Aufräumen beginnen.«
Das war nicht ganz das, was er erwartet hatte, doch er nickte benommen.
»Im Zimmer dieses Königs von England«, sagte sie bedeutsam. »Bei Gott, so werde ich es von nun an vermieten. Das Zimmer, in dem ein König geschlafen hat! Ja, lass uns dort sofort mit dem Aufräumen beginnen.«
I. Werbelied
1194–1195 Wien/Klosterneuburg
Kapitel 1
D er Schnee war frisch, eine weiße Decke, deren Glanz in den Augen brannte. Die Luft war so kalt, dass man die eigene Nasenspitze nicht mehr spürte. Doch die Sonne schien, und der Herzog hatte darauf bestanden, auszureiten. Reinmar hatte nicht oft Heimweh nach dem Elsass, doch an diesem Morgen wünschte er sich unwillkürlich in das mildere Klima seiner Heimat zurück. Andererseits konnte er Leopold verstehen: Durch das schlechte Wetter waren sie alle wochenlang in der Residenz in Klosterneuburg eingesperrt gewesen. Zeit, sehr viel Zeit, um über die eigene Verdammnis zu brüten.
Zwei Jahre war es jetzt her, dass der Herzog Richard von England gefangen genommen hatte, um seine Schmach bei Akkon zu rächen und, wie bösere Zungen meinten, das Staatssäckel gehörig aufzupolstern. Vor etwas weniger als einem Jahr war der König ausgelöst worden, für die ungeheure Summe von 100000 Mark Silber, gut 23 Tonnen, von Richards Mutter Alienor überbracht. Damit hätte alles ein gutes Ende haben sollen; zwar musste der Herzog das Geld mit Kaiser Heinrich teilen, weil der Kaiser nun einmal sein Lehnsherr war, doch selbst die Hälfte war mehr als genug gewesen, um in Friedberg und Hainburg Stadtmauern zu errichten und vor Wien eine neue Stadt zu gründen. Außerdem waren prunkvollere Feste gefeiert worden, als sie der Wiener Hof je zuvor gesehen hatte. Auch Reinmar zog wiederholt aus der großzügigen Stimmung des Herzogs seinen Nutzen und hatte allen Grund, dankbar zu sein. Woran all das Geld nichts änderte, war jedoch der Bann des Papstes, der umgehend und sofort nach Richards Gefangennahme erfolgte und immer noch nicht aufgehoben war. Und das, obwohl Leopold sich von Richard hatte versprechen lassen, dass dieser sich beim Papst für ihn einsetzen werde. Bisher hatte es dafür aber kein Anzeichen gegeben.
»Wundert Euch das wirklich?«, hatte der junge Walther gefragt, als Reinmar über die Treulosigkeit der Welt klagte. »Der Herzog kann doch nicht ernsthaft geglaubt haben, dass ihm eine Geisel für die Gefangennahme auch noch dankbar ist.«
»Eines Mannes Wort ist eines Mannes Wort«, hatte Reinmar streng entgegnet, schon, weil Walther eine lose Zunge hatte und zur Respektlosigkeit neigte, etwas, dem man begegnen musste, wenn sein Schüler es in der Welt je zu etwas bringen sollte. Doch im Geheimen musste er dem jüngeren Mann recht geben. Reinmar hatte selbst am Kreuzzug teilgenommen. Er hatte König Richard erlebt, nicht erst bei der Eroberung von Akkon. Der Mann war zu Recht wegen seines Mutes berühmt, der nicht einmal den Tod zu fürchten schien; er versteckte sich nie hinter seinen Leuten. Aber niemand hatte ihm je Milde oder
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