Das Spiel der Nachtigall
Unvermeidliche zu übertönen. Da der Herzog keinen Laut von sich gab, als Walther den Raum betrat, sondern nur mit zusammengebissenen Zähnen dalag, und den Ruf hatte, im Heiligen Land bei glühender Sonne in voller Rüstung mit einem Liedchen auf den Lippen durch die Wüste gelaufen zu sein, schien das zunächst eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme.
Dann aber sah er das Bein, das nicht verbunden war, auf die Wunde, deren Ränder voller Blasen waren, auf das Fleisch, das aussah wie das einer Ente, die man zu lange hatte hängen lassen. Und er bemerkte die gewaltige Axt, die am Bett des Herzogs lehnte.
»Die Wunde wird brandig«, flüsterte Reinmar. »Ich habe das oft genug im Heiligen Land gesehen. Das Bein wird abgenommen werden müssen, sonst ist unser Herr des Todes.«
»Seid Ihr sicher, Vater?«, fragte Friedrich. »Ich habe nach Wien geschickt. Der Medicus wird morgen hier sein.«
»Der wird mir auch nicht anders helfen können«, knurrte der Herzog zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch. »Ich weiß, was ich tue.«
»Aber vielleicht lässt sich das Bein doch noch retten«, protestierte Friedrichs jüngerer Bruder, der wie sein Vater den Namen Leopold trug.
Der Herzog ignorierte ihn. »Fangt schon an, zu spielen!«, brüllte er. Der Fiedler und der Trommler hoben gehorsam ihre Instrumente. Walther blickte zu Reinmar. »Ein Erntelied ist lauter«, sagte er mit gesenkter Stimme und brauchte nicht hinzuzusetzen, als eine Klage.
Reinmar gab nicht vor, keine bäuerlichen Erntelieder zu kennen. Stattdessen stimmte er den Sommergruß an, und Walther stimmte ein. Er warf alles über den Haufen, was er in den letzten zwei Jahren am Hof über Zurückhaltung gelernt hatte, und sang so laut, als gelte es, Felsen zu erweichen.
Gegen den markerschütternden Schrei, der die Wände erzittern ließ, konnten sie alle trotzdem nicht ankommen. Ein Aufbrüllen, ein einziges nur; dann fiel der Herzog in endlose Flüche, während der Heiler, der eigentlich für die Pferde zuständig war, sein Bestes tat, um die Blutung zu stillen. Walther unterdrückte die Übelkeit, während er sich zwang, weiterzusingen. Der Herzog, den er nur bei Festlichkeiten erlebte, war für ihn immer ein Wesen aus einer anderen Welt gewesen. Obwohl er ihm dankbar war, bei Hof sein zu dürfen, und durchaus der Meinung, ein Teil des englischen Silbers hätte nicht auf Stadtmauern und die Gewänder der Herzogin verteilt, sondern auch an einen jungen Sänger gegeben werden können, hatte er keine starken Gefühle für den Herzog, weder im Guten noch im Bösen. Bis jetzt. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlen musste, ein Teil seines Beins zu verlieren; das allein genügte, um in ihm Mitleid und Grauen zu erregen, auch ohne den beißenden Geruch nach Blut und dem Inhalt des Darms, den der Herzog unwillkürlich von sich gegeben hatte. Kein Mensch verdiente das.
Was Ihr hier tut, ist Sünde, sagte der englische König in seiner Erinnerung, und es wurde Walther bewusst, dass es bis auf ein paar Tage genau zwei Jahre her war, dass der Herzog Hand an einen Kreuzfahrer gelegt und ihn gefangen genommen hatte. Etwas, an dem Walther sogar einen Anteil beansprucht hatte. Markwart, wäre er jetzt hier, würde ihm sicher raten, umgehend eine Kerze zu stiften und vorsichtshalber ein besseres Leben zu geloben. Doch sein Freund war nicht hier, weil er sich viel zu schnell einschüchtern ließ. Statt glücklich darüber zu sein, dass ihnen der Zufall den erhofften Eintritt zum herzoglichen Hof gewährt hatte, war Markwart bereits mit dem Schmelzen des ersten Schnees wieder in Richtung ihrer Heimat verschwunden.
»Du hast mir versprochen, die Frauen hier wären alle rollig, wie unsere Katzen zu Hause, aber ganz verschwiegen, dass vorher Kupfer und Silber in ihren Händen dafür klingeln muss«, war seine erste Beschwerde gewesen. Außerdem fühlte er sich nicht wohl unter den anderen Bediensteten, die ihn als »Handlanger eines Habenichts« hänselten und mit den angeblichen Gepflogenheiten der hohen Herren: »Die könnten einen krumm schlagen, nur weil ihnen der Magen verstimmt ist. Der Stallmeister schwört, das sei auch schon passiert.« Den größten Trumpf aber sparte er sich bis zum Schluss auf: »Zu Hause kann ich wieder als guter Christenmensch zur Messe gehen und beichten, statt bei einem Fürsten zu leben, den der Papst gebannt hat, und das solltest du auch tun.« Walther hatte schweren Herzens nicht versucht, ihn aufzuhalten, auch wenn
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