Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)
mein Bestes geben. Mal sehen, was Benedictus Spinoza uns anzubieten hat.«
Am folgenden Nachmittag betrat Friedrich Alfreds Zimmer und wurde von einem besser rasierten und besser gekleideten Patienten empfangen, der flott aufstand und sagte: »Ah, Friedrich, ich brenne darauf anzufangen. Die letzten vierundzwanzig Stunden habe ich an kaum etwas anderes gedacht als an unser heutiges Treffen.«
»Du siehst besser aus.«
»So fühle ich mich auch. Es geht mir so gut wie seit Wochen nicht mehr. Wie ist das möglich? Obwohl zwei unserer Treffen im Bösen endeten, habe ich trotzdem davon profitiert, dich zu sehen. Wie machst du das, Friedrich?«
»Vielleicht bringe ich Hoffnung?«
»Teilweise ist es so. Aber da ist noch etwas anderes.«
»Ich glaube, es hat viel mit deinem sehr menschlichen Bedürfnis nach Aufmerksamkeit und Beziehung zu tun. Das müssen wir auf unserer Agenda behalten – es ist wichtig. Aber im Augenblick wollen wir uns wir uns erst einmal auf unseren Aktionsplan konzentrieren. Ich habe ein paar Passagen bei Spinoza herausgesucht, die mir relevant erscheinen. Fangen wir mit diesen beiden Sätzen an.«
Er schlug die Ethik auf und las:
»Verschiedene Menschen können von einem und demselben
Objekt auf verschiedene Weise erregt werden …
derselbe Mensch kann von einem und demselben
Objekt zu verschiedenen Zeiten auf verschiedene
Weise erregt werden.«
Als er Alfreds verwirrten Blick bemerkte, erklärte Friedrich: »Ich zitiere das nur als Ausgangspunkt für unsere Arbeit. Spinoza sagt einfach, dass jeder von uns von einem identischen, äußeren Objekt unterschiedlich beeinflusst werden kann. Deine Reaktion auf Hitler mag sich von der Reaktion anderer Menschen sehr unterscheiden. Andere mögen ihn so lieben und verehren wie du, hingegen hängt ihr ganzes Wohlbefinden und Selbstbewusstsein vielleicht nicht so ausschließlich davon ab, wie sie ihn erleben. Könnte das nicht so sein?«
»Vielleicht. Aber ich kann nicht wissen, welche inneren Erfahrungswerte andere Leute haben.«
»Ich verbringe einen großen Teil meines Lebens mit der Erforschung dieses Gebietes und bekomme viele Anhaltspunkte, die Spinozas Postulat unterstützen. So reagieren meine Patienten sogar bei ihrer allerersten Sitzung durchaus unterschiedlich auf mich. Manche misstrauen mir, während andere vielleicht sofort Vertrauen zu mir fassen, und wieder andere meinen, ich sei darauf aus, ihnen Schaden zuzufügen. Und dabei glaube ich, dass ich mit jedem Einzelnen von ihnen gleich umgehe. Wie ist das zu erklären? Nur durch die Annahme, dass es unterschiedliche innere Wahrnehmungen auf ein und dasselbe Ereignis gibt.«
Alfred nickte. »Aber was hat das mit meiner Situation zu tun?«
»Gut. Lass uns beim Punkt bleiben. Ich will damit nur sagen, dass deine Beziehung zu Hitler auf gewisse Weise eine Funktion deiner eigenen Seele ist. Meine Argumentation ist einfach. Wir müssen mit dem Ziel beginnen, dich zu ändern, statt zu versuchen, Hitlers Verhalten zu ändern.«
»Das akzeptiere ich, aber ich bin froh, dass du ›auf gewisse Weise‹ gesagt hast, denn Hitler wirkt auf alle einschüchternd. Sogar Göring sagte einmal in einem Anfall von Offenheit zu mir, dass ›alle in Hitlers Nähe Jasager sind, weil alle Neinsager sich inzwischen die Radieschen von unten anschauen.‹«
Friedrich nickte.
»Aber du hast mich davon überzeugt, dass er mich ganz besonders einschüchtert«, fuhr Alfred fort, »und ich möchte, dass du mir hilfst, das zu ändern. Hat Spinoza einen Vorschlag, wie man vorgehen könnte?«
»Sehen wir uns an, was er darüber sagt, wie man sich vom Einfluss anderer befreit«, sagte Friedrich und ging seine Aufzeichnungen durch. »Das gehört zu den Dingen, die Goethe von Spinoza lernte. Hier gibt es eine Passage in Teil Vier Über die menschliche Unfreiheit oder die Macht der Affekte: › Denn der den Affekten unterworfene Mensch steht nicht unter seinen eigenen Gesetzen, sondern unter denen des Schicksals …‹ Das beschreibt, was mit dir geschieht, Alfred. Du bist deinen Affekten unterworfen, Du wirst von Wellen der Besorgnis, Angst und Selbstverachtung hin- und hergeworfen. Hört sich das vertraut an?«
Alfred nickte.
»Spinoza sagt weiterhin ungefähr Folgendes: Wenn deine Zufriedenheit mit dir selbst von der Liebe der Menge genährt wird, wirst du immer besorgt sein, denn eine solche Liebe der Menge ist wankelmütig. Er nennt das ›eitle Zufriedenheit‹, weil sie in Wirklichkeit gar keine ist.«
»Im
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