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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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verhärtet hat, heißt das nur, dass der Pharao starrköpfig war. Wenn sie sagt, dass Gott für die Hebräer die Felsen spaltete und Wasser heraussprudeln ließ, heißt das nur, dass die Hebräer Quellen fanden und ihren Durst löschten. In der Heiligen Schrift wurde fast alles Ungewöhnliche einem Willensakt Gottes zugeschrieben. Selbst Bäume von ungewöhnlicher Größe werden Gottes Bäume genannt.«
    »Und«, fragte Jacob, »Was ist mit dem Wunder, dass nämlich die Juden im Gegensatz zu anderen Völkern überlebt haben?«
    »Darin sehe ich nichts Übernatürliches, nichts, was nicht mit natürlichen Ursachen erklärt werden könnte. Die Juden haben seit der Diaspora überlebt, weil sie sich immer weigerten, sich mit anderen Kulturen zu vermischen. Sie blieben aufgrund ihrer komplexen Riten, ihrer Speisevorschriften und des Zeichens der Beschneidung, welche sie peinlich genau einhielten, immer unter sich. Deshalb haben sie überlebt; aber das hatte seinen Preis: Mit ihrem beharrlichen Festhalten daran, sich abzusondern, zogen sie weltweit Hass auf sich.«
    Bento hielt inne, und als er die entsetzten Gesichter Francos und Jacobs bemerkte, sagte er: »Verschaffe ich Ihnen etwa Magenschmerzen, weil ich Ihnen heute zu viel Schwerverdauliches zu schlucken gebe?«
    »Machen Sie sich um mich keine Sorgen, Bento Spinoza«, meldete sich Jacob. »Sie wissen bestimmt, dass Zuhören nicht das Gleiche wie Schlucken ist.«
    »Vielleicht irre ich mich, aber ich glaube, Sie haben bei meinen Worten wenigstens dreimal genickt. Habe ich Recht?«
    »Das Meiste, was ich höre, ist Arroganz. Sie glauben mehr zu wissen als zahllose Generationen von Rabbinern, mehr als Rashi, Gersonides, mehr als Maimonides.«
    »Und trotzdem haben Sie genickt.«
    »Wenn Sie Beweise vorbringen, wenn Sie zwei Aussagen aus dem Ersten Buch Mose zitieren, die einander widersprechen, kann ich das nicht bestreiten. Und selbst da bin ich mir sicher, dass es dafür Erklärungen gibt, die Ihr Wissen übersteigen. Ich bin sicher, dass Sie es sind, der irrt, und nicht die Thora.«
    »Liegt in Ihren Worten kein Widerspruch? Einerseits respektieren Sie Beweise, gleichzeitig aber beharren Sie auf etwas, wofür es keinen Beweis gibt.« Bento wandte sich an Franco. »Und Sie? Sie waren ungewöhnlich still. Magenschmerzen?«
    »Nein, keine Magenschmerzen, Baruch – stört es Sie, wenn ich Sie mit Ihrem hebräischen statt mit Ihrem portugiesischen Namen anspreche? Es ist mir lieber. Ich weiß nicht, weshalb. Vielleicht kommt es daher, weil Sie ganz anders sind als alle Portugiesen, die ich bisher kennengelernt habe. Keine Magenschmerzen – Sie bereiten mir eher das Gegenteil. Was könnte das sein? Besänftigung, denke ich. Besänftigung meines Magens. Auch Besänftigung meiner Seele.«
    »Ich weiß noch, wie furchtsam Sie bei unserem ersten Gespräch waren. Sie riskierten so viel, als Sie uns von Ihrer Reaktion auf die Rituale in der Synagoge und in der Kathedrale erzählten. Sie bezeichneten diese Rituale allesamt als Wahnsinn. Erinnern Sie sich?«
    »Wie könnte ich das vergessen? Aber zu wissen, nicht allein zu sein, zu wissen, dass andere – und ganz besonders Sie – meine Ansicht teilen: Das ist ein Geschenk, das meine geistige Gesundheit rettet.«
    »Franco, Ihre Antwort gibt mir die Kraft, einen Schritt weiterzugehen und Ihnen mehr über Rituale zu erzählen. Ich kam zu dem Schluss, dass die Rituale in unserer Gemeinde nichts mit göttlichem Recht zu tun haben, nichts mit Glückseligkeit, Tugend und Liebe, aber alles mit öffentlichem Frieden und Aufrechterhaltung der rabbinischen Autorität …«
    »Noch einmal«, unterbrach Jacob, und seine Stimme schwoll an: »Sie gehen zu weit. Hat Ihre Arroganz denn keine Grenzen? Jedes Schulkind weiß, dass die Heilige Schrift lehrt, dass die Einhaltung der Rituale das Gesetz Gottes ist.«
    »Hier sind wir unterschiedlicher Ansicht. Noch einmal, Jacob: Ich bitte Sie nicht, mir zu glauben. Ich appelliere an Ihre Vernunft und bitte Sie nur, die Worte des Heiligen Buches mit eigenen Augen zu lesen. Es gibt viele Stellen in der Thora, die uns sagen, dass wir unserem Herzen folgen und Rituale nicht allzu ernst nehmen sollen. Betrachten wir Jesaja und Jeremia, die klar und deutlich lehren, dass das göttliche Gesetz eine wahrhafte Lebensweise kennzeichnet und nicht ein Leben der Einhaltung zeremonieller Bräuche. Jeremia bedeutet uns klar, einen Bogen um Opfer und Feste zu machen, und er fasst die Gesamtheit des göttlichen

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