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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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in ihren Schriften nichts, was ein göttliches Geheimnis ausstrahlt, sondern nur kindische Kopfgeburten. Ich möchte, dass wir die Worte in der Thora selbst untersuchen, nicht die Interpretation von Müßiggängern.«
    Nach kurzem Schweigen fragte er: »Habe ich Ihnen nun meine Gedanken zur Urheberschaft der Bibel klar darzustellen vermocht?«
    »Das haben Sie«, sagte Jacob. »Vielleicht sollten wir uns nun aber anderen Themen zuwenden. Zum Beispiel bitte ich Sie, Francos Frage zu Wundern anzusprechen. Er fragte, warum die Bibel voll davon ist, aber seit jener Zeit keine Wunder mehr geschehen. Erzählen Sie uns von Ihren Gedanken zu Wundern.«
    »Wunder entstehen nur durch Unwissenheit der Menschen. In alten Zeiten wurde jeder Vorfall, der nicht mit natürlichen Ursachen erklärt werden konnte, als Wunder betrachtet, und je größer die Unwissenheit der Massen über die Vorgänge in der Natur, desto mehr Wunder gab es.«
    »Aber es gibt große Wunder, die eine Vielzahl von Menschen gesehen haben: das Rote Meer, das sich für Moses teilte, die Sonne, die für Josua in ihrem Lauf anhielt.«
    »›Gesehen von einer Vielzahl von Menschen‹ ist nur eine Redensart, ein Versuch, die Wahrhaftigkeit unfassbarer Ereignisse zu untermauern. Im Fall von Wundern bin ich folgender Ansicht: Je mehr Menschen behaupten, das Ereignis beobachtet zu haben, desto weniger glaubhaft ist es.«
    »Wie erklären Sie dann diese ungewöhnlichen Ereignisse, die genau im richtigen Moment auftraten, wenn nämlich das jüdische Volk in Gefahr war?«
    »Lassen Sie mich zunächst an die Millionen von genau richtigen Momenten erinnern, bei denen keine Wunder geschehen, wenn die frömmsten und rechtschaffensten Menschen sich in großer Gefahr befinden, wenn sie um Hilfe rufen und als Antwort nur Schweigen erfahren. Darüber haben Sie bei unserem ersten Treffen gesprochen, Franco, als Sie fragten, wo denn die Wunder waren, als Ihr Vater auf dem Scheiterhaufen verbrannte. Richtig?«
    »Ja«, bestätigte Franco leise und warf Jacob einen Blick zu. »Das habe ich gesagt, und ich sage es abermals: Wo waren die Wunder, als die portugiesischen Juden in Gefahr waren? Warum blieb Gott stumm?«
    »Solche Fragen sollten gestellt werden«, ermunterte ihn Bento. »Darf ich Ihnen ein paar weitere Gedanken über Wunder vortragen? Wir müssen uns gewahr sein, dass es immer begleitende, natürliche Umstände gibt, die bei der Berichterstattung über Wunder verschwiegen werden. So heißt es beispielsweise im Zweiten Buch Mose: ›Da reckte Mose seine Hand aus über das Meer; und das Meer kam wieder vor Morgens in seinen Strom …‹, aber später im Lied von Moses lesen wir zusätzlich etwas: ›Da ließest du deinen Wind blasen, und das Meer bedeckte sie …‹ Anders gesagt: Manche Beschreibungen übergehen die natürlichen Ursachen, die Winde. Daher erkennen wir, dass die Schriften diese Phänomene in der Reihenfolge schildern, in der sie ihrer Meinung nach die größte Macht haben, Menschen, insbesondere ungebildete Menschen, zu beeindrucken.«
    »Und die Sonne blieb mitten am Himmel stehen, damit Josua seinen großen Sieg erringen konnte? War das auch nur erfunden?«, fragte Jacob, sichtlich bemüht, ruhig zu bleiben.
    »Dieses Wunder steht auf überaus wackeligen Beinen. Zunächst will ich Sie daran erinnern, dass in der Antike alle glaubten, dass die Sonne sich bewegt und die Erde still steht. Mittlerweile wissen wir, dass es die Erde ist, die sich um die Sonne dreht. Allein dieser Irrtum ist ein Beweis dafür, dass es der Mensch ist, der hinter den Worten der Bibel steht. Und darüber hinaus beruht diese bestimmte Art des Wunders auf politischer Motivation. Beteten Josuas Feinde nicht den Sonnengott an? Demzufolge ist das Wunder eine Botschaft, die hinausposaunte, dass der Gott der Hebräer mächtiger sei als der Gott der Heiden.«
    »Das haben Sie wunderbar erklärt«, freute sich Franco.
    »Glaube nicht alles, was du von ihm hörst, Franco«, mahnte Jacob. »Nun, Bento«, fragte er, »ist das die ganze Erklärung des Wunders bei Josua?«
    »Es ist nur ein Teil davon. Der Rest der Erklärung liegt in der heutigen Ausdrucksweise. Viele sogenannte Wunder sind nur Ausdrucksweisen. Es ist die Art, wie die Menschen in jener Zeit sprachen und schrieben. Was der Schreiber von Josua vermutlich meinte, als er sagte, die Sonne habe stillgestanden, war einfach nur, dass der Tag der Schlacht besonders lang erschien. Wenn die Bibel anmerkt, dass Gott das Herz des Pharaos

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