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Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition)

Titel: Das Spinoza-Problem: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irvin D. Yalom
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Kameraden zur Feier des Tages eine Flasche Schnaps, schenkte ein Glas ein, hob es hoch über seinen Kopf und prostete ihnen zu: »Ich erhebe mein Glas und sage euch Lebewohl, meine lieben Freunde. Ich hoffe, dass wir uns im Vaterland wiedersehen. Ein einziges Mal in meinem Leben habe ich etwas Schlaues gemacht – etwas Bäckerschlaues.« Er deutete auf seinen Kopf und dann auf seinen Bauch. »Ich habe dem Kommandanten des Militärs zwei Laibe meines deutschen Brotes und meinen besten Apfelstrudel gebracht, alles knusprig frisch, direkt aus dem Backofen. Sein Adjutant wollte mir den Schneid abkaufen und brummte nur, dass er selbst mein Geschenk beim Kommandanten abliefern wolle. Aber ich ließ mich nicht kleinkriegen und versprach ihm, später noch einen Strudel vorbeizubringen, der gerade im Backrohr sei. Und dann sagte ich noch, dass der Kommandant den ausdrücklichen Wunsch geäußert habe, dass ich die Sachen persönlich bei ihm abliefere – Gott sei Dank war mir das gerade noch eingefallen. Dann bin ich ins Büro vom Kommandanten, zeigte ihm mein Geschenk und flehte ihn an, mich nach Berlin ausreisen zu lassen. ›Wenn die Streitkräfte einmal fort sind‹, sagte ich zu ihm, ›habe ich bestimmt nichts mehr zu lachen. Die Esten werden mich als Kollaborateur behandeln, weil ich gutes, deutsches Brot und Kuchen für die Truppen backe. Hier, sehen Sie sich nur dieses Brot an! Schwer und knusprig ist es. Riechen Sie. Probieren Sie.‹
    Dann brach ich ein Stück Brot ab und schob es ihm in den offenen Mund. Während er kaute, strahlten seine Augen vor Wonne, sag ich euch. ›Und jetzt riechen Sie am Strudel‹, und ich hielt ihn ihm unter die Nase. Er konnte von dem Duft des ofenwarmen Strudels gar nicht genug kriegen. Bald war er wie benommen; er rollte die Augen und schwankte hin und her. ›Und jetzt machen Sie den Mund auf und probieren Sie, wie der Himmel schmeckt.‹ Er machte den Mund auf, und ich fütterte ihn wie eine Vogelmama mit den Strudelstückchen, in denen besonders viele Rosinen waren. ›Ja, ja, ja‹, stöhnte er vor Wonne, und dann ließ er mir ohne ein weiteres Wort sofort einen Ausweis nach Deutschland für Härtefälle ausstellen. Und nun steige ich morgen früh in den Zug, und ihr, meine Freunde seid herzlich zu dem Brot eingeladen, das in diesem Augenblick, während wir hier sprechen, gerade im Ofen aufgeht.«
    Alfred grübelte drei Tage lang über das Gehörte nach, und dann wachte er eines Morgens mit dem Entschluss auf, es dem dreisten Bäcker gleichzutun. Als er mit drei seiner besten Zeichnungen von Reval im Hauptquartier der Streitkräfte erschien, sagte er dem Adjutanten genau wie der Bäcker, dass er sein Präsent direkt beim Kommandanten abliefern wolle. Der Widerstand des Adjutanten löste sich schnell in Luft auf, als Alfred ihm eine seiner Zeichnungen als Geschenk anbot. Er wurde zum Kommandanten gebracht, dem Alfred seine Zeichnungen vorlegte und dazu bemerkte: »Das hier ist eine kleine Erinnerung an Ihre Zeit in Reval. Ich gebe den Deutschen hier Zeichenunterricht und wünsche mir nun nichts sehnlicher, als auch die Berliner mein Handwerk zu lehren.« Der Kommandant begutachtete Alfreds Arbeiten und schob anerkennend die Unterlippe vor. Als Alfred seine Rede bei der Bürgerversammlung und den Auszug der Juden aus der Zuhörerschaft schilderte, taute der Kommandeur noch mehr auf, stellte von sich aus fest, dass Alfred nach dem Abzug des Militärs in Estland möglicherweise nicht mehr sicher wäre, und bot ihm den letzten Platz in einem Zug nach Berlin an, der noch am selben Abend um Mitternacht abfuhr.
    Nach Hause! Endlich nach Hause ins Vaterland! Ein Zuhause, das er nie kennengelernt hatte. Dieser Gedanke verdrängte das körperliche Unbehagen während der mehrtägigen, bitterkalten Zugfahrt nach Berlin. Als er dort ankam, bekam seine Hochstimmung beim Anblick der traurigen Parade der heimgekehrten, besiegten deutschen Streitkräfte über die Prachtstraße Unter den Linden einen merklichen Dämpfer.
    Berlin, das lernte Alfred schnell, war nicht nach seinem Geschmack, und er fühlte sich einsamer als je zuvor. In der Auffangstation für Immigranten, die er aufsuchte, sprach er mit niemandem, sondern lauschte nur gierig deren Gesprächen. »München« war in aller Munde. Dort gab es Avantgarde-Künstler, auch antisemitische, politische Gruppierungen, und München war der Treffpunkt radikaler weißrussischer, antibolschewistischer Agitatoren. München übte einen

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