Stern auf Nullkurs (1979)
Planet im Dunkel
KALO JORDAN hebt den Kopf. Nach Stunden antriebslosen Fallens gibt es endlich wieder ein Oben und ein Unten. Der Pilot hat die Bremsdüsen gezündet. Aber das Gefühl, wieder Gewicht zu besitzen, die Gewißheit, daß der eigene Körper noch immer existiert, das unvermeidliche Ziehen in den Gelenken, das stets nach Phasen der Schwerelosigkeit auftritt, das alles bleibt nicht lange. Es hat keinen Sinn, die Halteklammern zu lösen. Bereits Sekunden nach der Bremsung hat die Maschine die Parkbahn erreicht.
Auf dem Bodenschirm schwebt das Abbild des Planeten, eine mattweiße Kugel, auf deren Oberfläche sich dunkle Schlieren zu gigantischen Wirbeln vereinen. Noch zeigen diese Strudel nicht die geringste Bewegung, noch scheinen sie erstarrt zu sein, erstarrt in ewiger, tödlicher Kälte.
Erst Stunden später deuten kaum erkennbare Veränderungen an, daß dort, auf den glänzenden Ebenen des sonnenfernsten Planeten, riesige Massen gefrorener Gase träge umeinander fließen, sich vermischen und wieder trennen.
Je tiefer die Fähre sinkt, um so deutlicher wird die Bewegung und um so imposanter das Bild. Die Wirbel sind von verblüffender Formenvielfalt, sie sind gewölbt, von der Gestalt überdimensionaler Linsen, auf ihrer Oberfläche gruppieren sich ringförmige Muster, und an ihren Peripherien recken sich lang ausgezogene Arme.
Dazwischen liegen weite, freie Flächen, schimmernde Zonen, die aus dieser Höhe wie Glasplatten wirken, glatt und spiegelnd, kalt und abweisend.
„Wenn wir eine solche Ebene erwischen, wird uns die Landung kaum vor Probleme stellen", ruft Veyt Tonder über die Schulter zurück und löst einen neuen Bremsstoß aus.
Donnern durchbricht die Wände der Fähre, Vibrationen lassen sie erbeben, sekundenlang verschwindet der Planet unter meterlangen Flammenbündeln.
„Wie lange gedenkst du uns noch durchzuschütteln, Veyt Tonder?" Dona Larin beugt sich im Sessel vor. Sie ist eine nicht mehr als mittelgroße, ein wenig zur Fülle neigende Frau von dunklem Teint, alles an ihr wirkt auf eigenartige Weise dunkel, die Augen, das kurz geschnittene Haar, auch auf der Haut liegt ein bräunlicher Schimmer, dem man ansieht, daß er nicht der Hilfe der Sonne bedarf. Über der Oberlippe vertieft ein feiner Flaum die Bräune noch.
Dona Larin hat wache Augen, die ständig unterwegs sind und die Umgebung aufmerksam beobachten. Selbst wenn man Dona Larin zum erstenmal sieht, weiß man, daß nichts ihren Blicken entgehen kann.
Seit das Raumschiff wieder unter dem Einfluß einer wenn auch geringen Gravitationskraft steht, haben sie die Klammern an Beinen und Armen gelöst, und seit diesem Zeitpunkt bewegt sie sich temperamentvoll und gestenreich, man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, sie müsse jeden Augenblick vor Energie überschäumen.
Der Pilot blickt sich um. Er lächelt breit über das ganze Gesicht. „Tut mir leid", sagt er. „Zwei bis drei Stunden wird es schon noch dauern."
„Ekelhaft!" Dona Larin schüttelt sich scheinbar entsetzt. „Diese Prozedur ist wirklich nicht abzukürzen?"
Tonder verneint. „Unmöglich. Wir müssen den Planeten mindestens zweimal umrunden. Seht euch die Wirbel an. Das sind Eisstürme mit der mehrfachen Geschwindigkeit irdischer Taifune. Ich kenne das. Glaubt mir."
Sie verzieht das Gesicht zu einer Grimasse. „Wenn er seinen kategorischen Ton bekommt, hat es keinen Sinn, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen", sagt sie, sich an Hal Krokot wendend.
Krokot schüttelt verweisend den Kopf. Er ist der Leiter der Gruppe, Ingenieur, ein hellhaariger, stämmiger Mann mit kühlen, wasserblauen Augen. „Laß ihn in Ruhe!" murmelt er. „Er wird wissen, was er zu tun und zu lassen hat."
Dona Larin stößt hörbar die Luft aus, aber sie schweigt.
Kalo findet diese Frau ungewöhnlich, ja aufregend; sie hat eine Art, den Kopf zu schütteln, daß das kurze Haar wie eine Mähne fliegt, eine Art, die ihm in ihrer Urwüchsigkeit gefällt.
Bisher hat er die Astronomen stets als ernste und gelassen abwägende Menschen kennengelernt, die in anderen als den irdischen Dimensionen denken, schweigsame und in sich gekehrte Naturen.
Dona Larin ist da ganz anders. Vielleicht irrt er sich, vielleicht reicht die kurze Zeit ihrer Bekanntschaft nicht aus, daß er sich bereits jetzt ein Urteil bilden kann.
Doch diese Frau fiel ihm schon auf, als sie in der Fähre Platz nahm. Sie streckte sich in ihrem Sessel aus, überflog das Innere der Maschine mit
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