Das spröde Licht: Roman (German Edition)
Plastikflaschen als leere Hüllen herumliegen, bevor sie bald zu Staub zerfallen, was bei den Sandalen und dem Plastik jahrhundertelang dauert. Das war, auch wenn ich es nie gesagt habe, ein sehr anspruchsvolles, weitreichendes und eigentlich unfassbares Thema: Es ging um den finsteren Abgrund der Zeit. Pfeilschwanzkrebse sind überhaupt nicht schön und haben sich über Millionen Jahre hinweg erhalten, ohne sich zu verändern, so wie das auch bei den Kakerlaken und Krokodilen sein soll. Ich habe einmal im Internet gelesen, dass die Pfeilschwanzkrebse trotz ihres Namens keine Krebse sind. Sie sind den Krustentieren zwar ähnlich, sind in Wirklichkeit aber mit den Spinnen und Skorpionen verwandt. Die ältesten fossilen Funde von Pfeilschwanzkrebsen sind 450 Millionen Jahre alt.
Die Bilder wiesen gerade den Hauch von Helligkeit auf, der nötig war, um die Kadavergestalt des armen Krebses erahnen zu lassen. Und diese Bilder fanden tatsächlich Käufer, auch wenn es lange dauerte und nicht viel einbrachte. Jahre später dann wechselten sie ihre Besitzer für unverschämt hohe Summen. In meinem Arbeitszimmer hängt noch eines, ich halte es für das beste. Es wird immer undeutlicher und dunkler, je mehr mein Augenlicht nachlässt und auch ich mich dem Zerfall nähere.
»Du bist auf dem besten Weg zum Tenebrismus. Das nächste Bild wird wohl ganz schwarz sein, oder?«, sagte Sara neckend, fügte aber schnell hinzu: »Glaub mir kein Wort! Natürlich gefallen sie mir.«
Fast zwei Jahre lang schöpfte ich aus dem Vollen. Ich erlebte ein künstlerisches Hoch, das nur von der Angst vor zu viel Glück getrübt war, denn mir ging es wie dem Wanderer, dem alle Steine am Wegesrand zu Edelsteinen werden. Wie hätte ich damals ahnen können, was auf uns zukam! Das Unglück ist wie der Wind: Es kommt immer unerwartet, ganz von allein und ohne Mühe. Damals malte ich besser und intensiver denn je und war manchmal so in die Arbeit vertieft, dass ich sogar das Rauchen und Kaffeetrinken vergaß. Ich malte das mit Algen bedeckte Motorrad, auch ein bisschen tenebristisch, aber jetzt waren Farbtöne dabei. In New Jersey fand ich auf einem verlassenen Grundstück am Meer ein verrostetes Dreirad; das malte ich ganz groß und in so viel Licht getaucht, dass es kaum zu sehen war. (Vor zwei Jahren bin ich diesem Gemälde wiederbegegnet, in einem Museum in Rom, wohin ich zu irgendeiner Ehrung eingeladen war, aber da konnte ich es nur noch aus den Augenwinkeln betrachten, denn die Krankheit war schon so weit fortgeschritten, dass alles verschwamm, wenn ich geradeaus schaute. Es gefiel mir, mein Dreirad, auch nach so vielen Jahren noch, aber manche Stellen hätte ich gern überarbeitet, weil sie mir jetzt besser gelungen wären.) Ich hatte auch angefangen, auf Coney Island die vor sich hin rostende und von violetten Prunkwinden überwucherte Thunderbolt-Achterbahn (die später abgerissen wurde) zu fotografieren. Morning glory heißt diese Winde auf Englisch. Ich wollte eine Serie großformatiger Bilder malen, mit Einzelheiten des Gerüsts und der Blüten, aus Blickwinkeln, von denen aus ich die Ordnungsprinzipien der Größe und der Perspektive, die das A und O aller Malerei sind, aus den Angeln heben wollte, um mich von dem Joch der Perspektive – entweder nach außen oder nach innen zu blicken – zu befreien. Ich spürte, dass ich dabei war, aus einem Verlies auszubrechen, und dass ich schon fast das Freie erreicht hatte, um leichter atmen zu können. Ich spannte die Leinwand für das erste Achterbahngemälde auf. Die Blüten der Prunkwinde sollten auf jeden Fall schön werden, um die Bilder auch an den Mann zu bringen. Von etwas mussten wir schließlich leben.
Dass ich mir nicht zu schade bin, die Witzeleien wiederzukäuen, die ich noch bis vor zwei Jahren gemacht habe, als Sara noch lebte. »Witzeleien, die keiner lustig findet«, hätte sie an dieser Stelle eingewendet, denn genau in dem Moment, in dem ich die Leinwand aufspannte, wurde das Taxi, in dem mein ältester Sohn saß, vom Pick-up eines betrunkenen Junkies über den Haufen gefahren, in der 6th Street, Ecke 1st Avenue, weniger als vier Straßenblocks von unserer Wohnung entfernt, und damit wurden wir, ich und Sara und alle von uns, in die tiefste aller Höllen gestoßen.
vier
Mit dem Malen habe ich nicht aufgehört. Mit dem Malen habe ich überhaupt nie aufgehört, bis vor kurzem. Die Bilder, die ich damals begonnen hatte, malte ich zu Ende, und dann spannte ich die
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