Das spröde Licht: Roman (German Edition)
zwei
Ich küsste Sara, stand auf, machte Kaffee. Unwillkürlich sah ich mir das Bild an, an dem ich gerade arbeitete. Es war noch zu früh, um die Jungen anzurufen, die die Nacht in einem Motel in der Nähe des Flughafens von Portland verbringen wollten. Das Motiv meines Bildes war der Schaum, der auf dem hochsprudelnden grünen Wasser entsteht, wenn es von der Schraube des anfahrenden Fährschiffs durchgewirbelt wird. Die smaragdene Farbe des Wassers war zu fahl geraten, fand ich, zu oberflächlich, wie das gläserne Grün eines Pfefferminzbonbons. Es war mir noch nicht gelungen, ohne ein konkretes Bild zu verwenden, die abgründige Tiefe des Wassers, den Tod spürbar zu machen. Der Schaum war schön, unfassbar, chaotisch, vom Wasser gelöst und doch nicht von ihm zu trennen. Der Schaum war gut.
Mit diesem Bild hatte ich ein Jahr zuvor – im Sommer 1998 – angefangen. Damals verbrachte ich ganze Tage auf dem Fährschiff, immer zwischen Manhattan und Staten Island hin- und herpendelnd, manchmal mit einem Bier in der Hand, immer aufs Wasser schauend. Dabei freundete ich mich auch mit den Leuten an, die auf den Schiffen Musik machten und von einer Fähre zur anderen wechselten, und mit einem Louis Larrota, den ich scherzhaft Luis Bancarrota nannte, aber er verstand das Wortspiel nicht, weil er kein Spanisch oder Italienisch konnte. Louis war der letzte Schuhputzer, der auf der Fähre übrig geblieben war. Noch heute höre ich ihn auf den Gängen an Deck Shine! Shine! rufen. Er hatte immer weniger Kundschaft, weil die meisten Menschen inzwischen Sportschuhe trugen. Wenn das von Möwen durchzogene Abendrot hinter den Hafenkränen von New Jersey erlosch, kehrte ich in unsere Wohnung zurück.
Als ich Sara heiratete, waren wir beide 26. Wir lebten fünfzig Jahre zusammen, bis sie vor zwei Jahren an einer Herzkrankheit starb. Andere Frauen habe ich nicht gehabt: Alle Frauen waren sie. Es ist nicht leicht, zu erklären und zu verstehen, aber alle Frauen in meinem Leben, die nicht Sara waren und die ich haben wollte, aber nicht hatte, und auch die wenigen, mit denen ich geschlafen habe – natürlich ohne dass Sara es wusste, denn das wäre das Ende gewesen –, alle diese Frauen waren Sara. Die Male, die ich untreu war, fielen in die ersten zwei Jahre, als unsere Beziehung noch nicht gefestigt war und es noch Lücken und Kanten zwischen uns gab. Danach hatte ich nie wieder etwas mit einer anderen Frau und auch kein Verlangen nach einer anderen.
Auch auf ihrer Seite hat es Untreue gegeben, glaube ich, aber wenn es sie gab, dann erst später. Als wir schon in New York wohnten, sah ich sie einmal mit einer Arbeitskollegin in einem Café, Händchen haltend. Am Abend fragte ich sie danach, und sie stritt es weder ab, noch gab sie es zu. Sie sagte nur, Beziehungen zwischen Frauen würden für Männer immer ein Rätsel sein. Diese Antwort beruhigte mich zwar nicht, denn man kann die Hand eines anderen Menschen so oder so halten, doch mit der Zeit wuchs Gras über die Geschichte. Das zweite Mal war, als sie mit James und Debrah in Jamaika Urlaub machte. Aus irgendeinem Grund konnte oder wollte ich nicht mitfahren, und später rutschte James etwas heraus, das auf ein Abenteuer Saras mit einem jungen Einheimischen hindeutete. Auch diesmal fragte ich sie danach, aber jetzt protestierte sie, ich sei wohl verrückt, so etwas zu denken. Dennoch sagt mir bis heute etwas, dass sie damals eine Affäre hatte. Sara konnte ihre Hemmungen leicht ablegen, vor allem wenn sie ein wenig getrunken hatte. Die Sache hat mich lange gewurmt und geschmerzt, ob nun etwas dran war oder nicht, aber schließlich bin ich darüber hinweggekommen.
Eifersucht vielleicht.
Das Verlangen nach einander, das uns immer verband, ließ erst nach, als wir älter wurden. Ich habe den Unterschied zwischen Liebe und Verlangen nie richtig verstanden, und so kann ich heute sagen, dass wir uns unser ganzes Leben lang sehr geliebt haben. Ich habe mich immer gefreut, sie wiederzusehen, auch wenn wir nur für ein paar Stunden getrennt waren. Wenn ich von der Fähre heimkam, war auch sie schon von ihrer Arbeit im Krankenhaus zurück, und dann lagen wir eine Weile miteinander auf dem Bett und redeten. Ich erzählte ihr, was ich im Meer gesehen hatte, und danach kümmerte ich mich um Jacobo und seine Brüder.
drei
Nach New York kamen wir 1986. 1983 waren wir von Bogotá nach Miami gezogen, wo wir drei lange Jahre lebten, die ich nicht bereue, denn es war keine schlechte
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