Das Steinbett
Hand, das darauf lag. Es war ein amerikanischer Roman. Auf dem anderen Nachttisch lag ein Ordner mit Aufzeichnungen, die vermutlich mit MedForsk zu tun hatten. Sie blätterte ein wenig darin. Tabellen mit erklärenden Texten, ein Teil davon war auf englisch, anderes auf spanisch. Manchmal tauchten hingeworfene Kommentare auf, geschrieben mit Bleistift in einer schwer zu lesenden Handschrift, ein Fragezeichen hier und da, ein paar Ausrufezeichen am Rand.
All das mußte durchforstet, Blatt für Blatt gesichtet werden, in der Hoffnung, daß es irgendwo etwas gab, was erklären konnte, warum dieser Mann seine Familie getötet hatte. Oder war auch er getötet worden? Gab es eine dritte Kraft, die der ganzen Familie das Leben genommen hatte?
Wo aber war er, wenn es sich so verhielt? Lindell mußte wieder an den Hund denken. Ein Pointer. Waren das die mit den Punkten?
Sie blieb mit dem Ordner in der Hand stehen. Die Haustür schlug zu, und sie vermutete, daß die Männer von der Spurensicherung nach einer kurzen Mahlzeit zurückgekehrt waren.
Im oberen Stockwerk gab es noch zwei weitere Zimmer, ein spartanisch eingerichtetes Gästezimmer und ein Nähzimmer mit Nähmaschine, Schneiderpuppe und einem Tisch, auf dem schwarzer Stoff drapiert lag. Lindell starrte die geschlechtslose und mit Nadeln gespickte Puppe an. Sie zog die oberste Schublade einer Kommode heraus, die durch ihre barocken Formen herausstach, die Marmorplatte und die geschwungenen Beine, und kramte vorsichtig in Stoffresten. Die nächste Schublade war voller Blätter. Soweit sie erkennen konnte, waren es Skizzen. Zuunterst, unter ein paar Schnittmustern, lag ein in blaues Leinen eingebundenes Tagebuch. Lindell schlug die erste Seite auf, und ihr geschulter Blick erkannte sofort, daß sie auf etwas gestoßen war, das ihr Josefin Cederén näherbringen würde, denn dieses Tagebuch konnte nur ihr gehört haben, da es in Josefins Revier versteckt lag.
Es war ein Tagebuch, dessen Eintragungen Ende Mai 1998 begannen. Die erste Eintragung lautete: »Nach einem Jahr der Ungewißheit weiß ich nun alles. Ich kann nicht behaupten, daß ich überrascht bin, aber es tut unheimlich weh. Vielleicht bin ich selber schuld.«
Die Handschrift war gut lesbar. Lindell blätterte weiter. Die intimsten Gedanken eines Menschen, aufgezeichnet in einem Zeitraum von gut zwei Jahren. Die letzte Eintragung war auf den vierten Juni datiert.
Das blaue Buch war von Trauer durchzogen. Josefin Cederén schrieb, statt zu putzen.
Lindell suchte weiter in den Schubladen, um sich zu vergewissern, daß es nicht noch andere Bücher gab, fand aber keine. Entweder existierte nur das eine oder die älteren Tagebücher lagen woanders.
Sie nahm das Buch mit nach unten.
»Heute abend habe ich etwas zu lesen«, sagte sie und zeigte Fredriksson, der immer noch am Tisch saß, ihren Fund.
Er blickte auf.
»Ich wünschte, ich würde auch ein paar persönliche Notizen finden, aber das Ganze ist nur Material von seiner Arbeit. Ich könnte einen Mediziner als Dolmetscher gebrauchen.«
Trotz seiner Nörgelei sah Allan Fredriksson hellwach aus.
»Schön, daß du wieder bei uns bist«, sagte Lindell.
Es gab eine Zeit, in der er ihren Blick nicht erwidert hatte. Jetzt sah er sie mit einem Lächeln auf den Lippen an und nickte.
Einer der Beamten von der Spurensicherung kam aus der Küche. Lindell hatte ihn sich eine Zeitlang etwas genauer angesehen. Er war Anfang Dreißig und strahlte jene Mischung aus Stärke und Verletzlichkeit aus, die Lindell so schätzte. »Er ist verheiratet, noch dazu glücklich«, hatte Sammy Nilsson gesagt, als er ihren Blick bemerkte.
»Wir gehen gerade den Müll durch, und das einzig Auffällige, was wir bisher gefunden haben, sind die Reste eines Flugtickets. Alles andere ist Haushaltsmüll in der allgemein üblichen Mischung. Möchtest du das Ticket sehen?«
Sie gingen in die Küche, und Lindell konnte es nicht lassen, an seinem Rasierwasser zu schnuppern.
Der Mann von der Spurensicherung hielt mit einer Pinzette ein Stück Papier hoch.
»Ich glaube, es ist die Rückseite eines Flugtickets«, sagte er.
»Es gibt eine handgeschriebene Notiz. 8:25, steht da. Ansonsten ist nur noch der Name der Fluggesellschaft zu lesen. British Airways.«
Lindell sah sich das Fundstück mit ausdrucksloser Miene an.
»Heb es auf«, sagte sie und verließ die Küche.
»Ob man sich was nehmen darf?«
Auf dem Wohnzimmertisch stand eine Schale mit Süßigkeiten. Lindell hatte großen
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