Das Steinbett
denken. Sie hatten eine schöne Zeit miteinander gehabt und sich mit einer Intensität geliebt, die jenseits von allem lag, was sie vorher erlebt hatte.
Sie hatte von ihm gelernt, von der Ernsthaftigkeit seiner Überlegungen. Sie glaubte, daß sie durch ihn zu einer besseren Polizistin geworden war. Vielleicht war es auch seine Sprache, die sie so faszinierte, seine Worte, die einem naturverbundenen Leben entsprangen. Er nannte Dinge beim Namen, die sie oftmals überhaupt nicht wahrnahm oder über die sie sich noch nie Gedanken gemacht hatte. Darüber hinaus entdeckte er Sachen neu für sie, die zu ihrer eigenen Herkunft und Sprache gehörten. Ihre Dialekte waren verschieden, aber sie konnte ihren eigenen und die Sprache ihrer Eltern in seinem hören.
Einmal waren sich Edvard und ihre Eltern begegnet, und nach anfänglicher Nervosität hatte sich eine eigentümliche Verbundenheit zwischen ihnen entwickelt. Ihr Vater war mit Edvard in der Gegend herumgefahren, hatte die schmalen Schotterpisten genommen und über Gott weiß was mit ihm gesprochen. Als sie zurückkehrten, benahmen sie sich jedenfalls wie alte Freunde.
Die beiden Männer waren noch etwas am Auto stehengeblieben und hatten den Blick über die Landschaft schweifen lassen. Sie selbst und ihre Mutter standen am Fenster und beobachteten die beiden.
Edvard hatte im Auto auf der Rückfahrt nach Uppsala gesagt, ihr Vater sei innerlich zerrissen, und Lindell hatte ihn gefragt, was er damit meine. Edvard war daraufhin lange stumm geblieben, aber sie hatte gelernt, ihm Zeit zu lassen, und kurz vor Södertälje begann er, ausführlich über die östergötländische Ebene und all die Dörfer und Weiler zu sprechen, an denen er mit Lindells Vater vorbeigekommen war. Ihr Vater hatte ihm die geschlossenen Geschäfte gezeigt, die er fünfundzwanzig Jahre lang mit Limonade und Bier beliefert hatte. Mittlerweile waren die meisten von ihnen zu Wohnhäusern umgebaut worden, aber mit ihren breiten Vortreppen und großen Fenstern blieben sie leicht identifizierbar. In einem Ort hing sogar noch das Ladenschild, Arnes Livs, an seinem Platz.
»Ihr habt also nach Spuren der Vergangenheit gesucht«, hatte Lindell gesagt.
»Genau. Wir haben gesucht, und dein Vater hat erzählt. Und dort, in seinen Erzählungen, war etwas Zwiespältiges.«
»Niemand interessiert sich noch für seine alten Touren. Weißt du, daß ich im Sommer oft mitgefahren bin?«
»Du hast es mir bei unserer ersten Begegnung erzählt, nein, bei der zweiten, erinnerst du dich? Als wir auf dem alten Weg gingen. Du hast mir erzählt, daß er im Auto immer gesungen hat. Deshalb habe ich mich in dich verliebt.«
Nach diesen Worten verstummte er wieder. Lag es an den Erinnerungen, die nun wachgerufen worden waren? Sie vermutete es, und sie saßen schweigend nebeneinander, bis sie den Kreisverkehr an der südlichen Einfahrt Uppsalas erreichten. Ann Lindell blieb dieser Besuch in Ödeshög und die anschließende Rückreise als eines der schönsten Erlebnisse aus ihrer gemeinsamen Zeit im Gedächtnis.
Über die Zerrissenheit wurde kein Wort mehr verloren, aber sie ahnte, was er meinte, weil sie Edvard so gut kannte. Er nahm die Landschaft und die Menschen in sich auf wie nur wenige andere, denen sie begegnet war.
Die Freude ihres Vaters, die alten Lieferadressen wiederzusehen, das obligatorische Hupen, wenn er am Eingang oder an der Laderampe vorfuhr, das Gesicht des Landkaufmanns in der Tür, der anschließende Plausch, die immer gleichen Scherze, der Klang der vollen Kästen und das hohle Klirren der leeren, alles, was diesen Fahrten einen Sinn gab, wurde in diesen Sonntagsstunden noch einmal durchlebt.
Edvard hatte dies beobachtet; aber auch noch etwas anderes: die Zerrissenheit. Wie ihr Vater sich in seinen Erinnerungen bewegte. Edvard verstand solche Dinge. Sie vermißte das, vermißte seine Intensität, seinen Blick.
Sie stand aus dem Sessel auf. Sollte sie sich ein Glas Rotwein einschenken? Sie lächelte vor sich hin und entschied sich für Milch.
Das blaue Buch lag aufgeschlagen auf dem Tisch, und sie wollte weiterlesen. Über Josefins Zerrissenheit.
6
Zweiter Tag, schrieb Ann Lindell in ihren Notizblock. Dann folgte lange Zeit nichts mehr. Schließlich schrieb sie eine Eins.
»Kannst du damit leben Sven-Erik Cederén?« sagte sie laut und schrieb seinen Namen.
Die Kontrollen auf den Flugplätzen und in den Häfen waren verschärft worden, und am gestrigen Nachmittag hatten sie eine landesweite
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