0462 - Die Rache des Schlangendämons
Sara Moon schreckte aus ihrem Halbschlaf auf, als die telepathische Nachricht ihres Vaters Merlin sie erreichte: Gryf ist mit Drachenschuppen eingetroffen!
Von einem Moment zum anderen war sie hellwach. Eigentlich hätte sie übermüdet sein müssen. Ihr Schlaf in den letzten Tagen war alles andere als gut gewesen, und sie hatte sehr viel Kraft aufwenden müssen, um den physischen Zustand ihres unfreiwilligen Patienten Ted Ewigk immer wieder zu stabilisieren. Wenn sie mit ihrer Magie nicht immer wieder kontrollierend eingegriffen und ihm etwas von ihrer Kraft zufließen lassen hätte, wäre er längst tot.
Doch die Gewißheit, daß jetzt eine Entscheidung fallen und den Schwebe-Zustand auf die eine oder andere Weise vermeiden würde, mobilisierte in ihr noch einmal neue Energien. Die nicht besonders groß gewachsene, schlanke Frau mit dem leicht asiatisch wirkenden, schönen Gesicht und dem schulterlangen, silberblonden Haar erhob sich von ihrem Ruhelager. Ich komme, sendete sie ihre Gedankenbotschaft zurück zu Merlin, der sie aus der Ferne geweckt hatte.
Nun würde es sich zeigen, ob Ted Ewigk leben oder sterben würde. Es gab nur noch diese eine Möglichkeit für ihn, diese letzte Chance. Alle anderen Mittel hatten versagt, und das vor allem, weil sein Unterbewußtsein sich dagegen sträubte, sich ausgerechnet von Sara Moon helfen zu lassen. Zu lange war sie seine erbitterte Feindin gewesen. Damals, als sie noch die ERHABENE der DYNASTIE DER EWIGEN gewesen war und ihn als ihren größten Konkurrenten jagen ließ, um ihn zu töten. Das war nun vorbei, der dunkle Keim in ihr war zurückgedrängt und blockiert. Sie war wieder das, was sie anfangs gewesen war: Die Tochter des Zauberers Merlin und der Zeitlosen Morgana, ein Geschöpf aus Liebe und Magie.
Aber in seinem angeschlagenen Zustand konnte Ted Ewigk das nicht mehr geistig erfassen und verarbeiten. Als ihn der Schnabelhieb jenes Höllenvogels traf, diente Sara Moon noch der Dunklen Seite der Macht. Sie sahen sich erst wieder, als Ted bereits vom Todeskeim gezeichnet war, den der Schnabelhieb ihm eingepflanzt hatte. Und da war auch sein Geist schon entsprechend verwirrt gewesen.
Alle Versuche, ihn zu retten und zu heilen, waren fehlgeschlagen. Jetzt sah Sara nur noch eine einzige Möglich keit. Und dazu benötigte sie eine Drachenschuppe. Professor Zamorra hat sie ihr beschaffen sollen. Sie hätte sich selbst darum bemüht, aber sie konnte Ted nicht allein lassen. Er brauchte immer wieder den Zustrom stärkender Kraft, den nur sie ihm geben konnte. Merlin, ihr Vater, war dazu nicht in der Lage. Er wäre es vielleicht unter anderen Umständen gewesen, doch derzeit schickte er einen großen Teil seiner körperlichen, geistigen und magischen Kraft in die Zukunft, um sie zu einem späteren Zeitpunkt als aufgespeicherte, geballte Macht zur Verfügung zu haben. Ein ehrgeiziges, großes Projekt wie es viel leicht niemals zuvor verwirklicht worden war. Sara Moon hielt es für Wahnsinn. Merlin nahm sich zuviel vor. Es konnte nur in einer Katastrophe enden. Aber er hörte nicht auf die Warnungen. Vielleicht konnte er zu diesem Zeitpunkt auch bereits nichts mehr rückgängig machen, selbst wenn er es gewollt hätte. Einige seiner Andeutungen zielten dorthin…
So war Sara Moon derzeit die Person mit dem stärksten magischen Potential in Caermardhin, der im südlichen Wales auf einer Bergspitze gelegenen unsichtbaren Burg. Und deshalb war auch nur sie in der Lage, etwas zu tun. Sid Amos, Merlins dunkler Bruder, der lange Zeit hier als sein Stellvertreter gelebt hatte, während Merlin selbst im Kokon aus gefrorener Zeit gefangen gewesen war, in welchen ihn die Zeitlose eingewoben hatte, hätte vielleicht auch noch helfen können. Aber kaum, daß Merlin wieder seine »Amtsgeschäfte« übernahm, hatte Amos Caermardhin verlassen und war mit unbekanntem Ziel verschwunden.
Sara konzentrierte sich auf ihr Zeitauge.
Dort wo »normale« Menschen ihren Bauchnabel haben, besaß Merlins Tochter ein drittes Auge. Mit diesem war sie in der Lage, einen Blick in die nächste Zukunft zu tun. Jetzt wollte sie wissen, ob es ihr gelang, Ted mit ihrer Radikalkur zu retten. Entweder befreite sie ihn von dem mordenden Keim, oder sie brachte ihn mit ihrem Versuch um. Aber gerade weil sie sich nicht sicher war und die Chancen 50 : 50 standen, wollte sie es nach Möglichkeit vorher wissen. Bisher war ihr ein präkognitiver Blick nicht möglich gewesen, weil nicht feststand, ob Zamorra diese
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