Das Steinbett
Ihre Stadt. Sie mochte Uppsala. Dennoch war es ihr an diesem Abend fremder als sonst. Sie hatte das Gefühl, die Stadt ginge sie nichts an. Sie bedeutete Arbeit, sonst nichts. Jedenfalls empfand sie es so, als sie ziellos durch das Zentrum fuhr.
Am Martin-Luther-King-Platz kam ihr ein Kollege in seinem Privatauto entgegen. Er hob die Hand zum Gruß. Vor dem Fyriskino stand eine Frau, allein. Ein Mann bog, vom Rundelsgränd kommend, um die Ecke. Lächelnd gingen sie aufeinander zu. Lindell sah weg.
19
Gabriella Mark räumte die letzten Saatkisten weg und stapelte sie ordentlich im Schuppen. Bis zur nächsten Aussaat würde es fast ein ganzes Jahr dauern. Es machte ihr angst, daß nun alles gepflanzt war oder in den Früh- und Freilandbeeten keimte. Im Grunde war die Zeit der Gartenarbeit noch gar nicht zu Ende, denn es würde Monate dauern, bis das letzte Gemüse geerntet werden konnte. Einiges würde sogar noch stehen, wenn der erste Schnee gefallen war, aber der lustvollste Teil der Arbeit, Aussaat, Umtopfen und Auspflanzen, war abgeschlossen.
Sie stellte die letzte Kiste auf den Stapel. Die Abendsonne beschien den Hof. Der traurige Ruf eines Brachvogels war in der Ferne zu hören. Er nistete zum zweiten Mal in ihrer Nähe. Gabriella liebte diesen Vogel. Sein Ruf war ihr Lied; melancholisch, sehnsuchtsvoll.
Langsam ging sie zum Haus. Sie wollte noch draußen sein, blieb stehen und wurde vom Duft des falschen Jasmins umhüllt. Ein leises Grollen wie von einem Auto oder Traktor war zu hören, dann war es wieder still.
»Allein«, murmelte sie und wußte nicht, ob sie jemals wieder etwas aussäen würde. Vielleicht war es ihr letzter Sommer in diesem Haus. Sie könnte es verkaufen. Die Preise waren gestiegen, und sie würde eine hübsche Stange Geld bekommen. Warum sollte sie hier wohnen bleiben, wenn Sven-Erik doch nie mehr zu ihr zurückkehrte?
Würde die Polizei wiederkommen? Diese Frage hatte sie sich im Laufe des Nachmittags mehrmals gestellt. Wenn nicht, würde sie das wundern, denn sie ahnte, daß die Polizisten sie als Sven-Eriks Freundin identifiziert hatten. Was dachten diese Männer über sie? Inzwischen war es ihr egal.
Sie mußte unter allen Umständen noch einmal Ann Lindell anrufen. Bei ihrem letzten Telefonat war trotz allem ein gewisser persönlicher Kontakt zustande gekommen. Gabriella Mark glaubte, sich auf Lindell verlassen zu können. Sie war eine Frau, und in ihrer Stimme schwang etwas mit, das Gabriella verriet, die Polizistin würde sie verstehen.
Man wählt den Menschen nicht, den man liebt, dachte sie. Es war keine rationale Entscheidung, sich in Sven-Erik zu verlieben, einen verheirateten Mann, der ganz anders war als sie selbst. Aber gerade das war für sie vielleicht so interessant und wohltuend gewesen. Er hatte ihr Leben mit anderen Augen gesehen. Er hatte sich nach Ruhe gesehnt und in ihrem Haus einen Zufluchtsort gefunden. Schritt für Schritt hatte er sich verändert, bei jeder ihrer Begegnungen hatte sie das beobachten können.
Die Tabletten, die sie seit einigen Tagen wieder nahm, verlangsamten ihre Bewegungen. Ihre Gedanken wiederholten sich wie das Lied einer mechanischen Spieldose. Wieder und wieder wurde die schwermütige Melodie abgespult. Trotz ihres betäubten Zustands erkannte sie, daß dies ein Ende haben mußte, wußte aber nicht, wie sie es abstellen konnte.
Aus dem Wald auf der anderen Seite der Straße war ein leises Rascheln zu hören. Sie vermutete, daß die Elchkuh und ihr hinkendes Kalb kamen, um das üppige Grün am Rand des kleinen Sumpfgebiets abzuweiden. Sie spähte in den Wald hinein, aber die Tiere hielten sich wohl im Schutz des Unterholzes. Das Kalb würde nicht lange leben. Mit der schweren Verletzung konnte es keine weiten Strecken bewältigen, und spätestens im Winter würde es verenden.
Sie verließ die Bank und ging zur Straße hinunter. Das Mädesüß am Straßenrand roch stark. Sie brach ein paar Stengel ab. Die Dämmerung senkte sich auf die Erlen und den alten wild gewachsenen Apfelbaum, dessen unreife Früchte langsam größer wurden. Ein paar Waldtauben waren in der Ferne zu hören. Es knirschte unter ihren Füßen. Der schleimige Körper einer Schnecke kroch über den Schotter. Einer der Fühler wurde immer wieder ein- und ausgefahren.
Die fleischige Masse ekelte Gabriella, und sie eilte zum Haus zurück. Eine Windbö versetzte ihr einen Stoß in den Rücken und schien ihre Schritte noch beschleunigen zu wollen.
Allein. Achthundert
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