Das Steinbett
zwar nicht mehr als eine Dreiviertelstunde vergangen, aber Haver war trotzdem erstaunt. Sie beugte sich über die Beete. Haver konnte es sich nicht verkneifen, ihren Körper in Augenschein zu nehmen, ihren Po und die schlanken Schenkel unter einer grünen Arbeitshose. Nilsson warf ihm einen Blick zu.
Haver hüstelte leise. Die Frau zuckte zusammen und drehte sich so schnell um, daß sie beinahe das Gleichgewicht verloren hätte. Sie sah ängstlich aus, versuchte dies jedoch zu überspielen.
»Was ist?« fragte sie abweisend.
»Wir haben etwas vergessen«, erwiderte Nilsson. »Wir schreiben uns von allen, die wir besuchen, den Namen und die Telefonnummer auf«
Haver glaubte nicht wirklich, daß die Frau so naiv war, auf diese simple Erklärung hereinzufallen.
»Ich heiße Gabriella Mark«, sagte sie, »aber ich habe eine geheime Nummer.« Sie setzte sich auf den Rand des Frühbeets und sah die beiden Polizeibeamten abwartend an. Haver spürte, daß sie müde war und sich in gewisser Weise über den Besuch freute. So hatte sie einen Grund, eine Pause einzulegen.
»Hier ist meine Telefonnummer, falls Ihnen doch noch etwas einfällt«, sagte er und hielt ihr seine Karte hin, aber Gabriella Mark machte keine Anstalten, aufzustehen. Haver mußte zu ihr treten. Die Frau sah ihn mit ausdruckslosem Gesicht an, nahm die Karte und stopfte sie in die Brusttasche ihrer Arbeitshose, ohne einen Blick darauf zu werfen.
Haver glaubte sehen zu können, daß sie geweint hatte. Ihre ganze Gestalt strahlte Einsamkeit aus. Wer sollte das ganze Gemüse essen?
»Sie ist es«, sagte Ulrika Olsson, als sie sich wieder in den Wagen gesetzt hatten, »ich bin mir ganz sicher.«
Haver rief die anderen Polizeibeamten an und blies die Suche ab. Seine Genugtuung darüber, die Frau gefunden zu haben, wurde getrübt, weil sie nun gezwungen sein würden, sie zu verhören und eventuell Erinnerungen aus ihr herauszupressen, die sie lieber verdrängen wollte. Er empfand einen solchen Unwillen nicht zum ersten Mal; denn es war eine undankbare Aufgabe, im Elend der Menschen herumzustochern.
»Gabriella Mark«, sagte Lindell prüfend. »Ein schöner Name. Was machte sie für einen Eindruck?«
»Sie kommt einem verletzlich und stark zugleich vor«, erwiderte Haver. Er dachte an ihren Körper, einen schönen Körper, dessen Konturen durch die verwaschenen und abgewetzten Arbeitskleider noch betont wurden. Ihre Hände waren kraftvoll und schwarz von Erde gewesen und hatten in starkem Kontrast zu ihrem traurigen Blick gestanden. »Es hat mir gefallen, daß sie in ihrem Gemüsegarten gearbeitet hat.«
»Ich möchte zu gerne wissen, warum sie abstreitet, Cederén gekannt zu haben?« fragte Nilsson, aber Haver wunderte das nicht.
»Ich glaube, daß sie mit einer Frau sprechen möchte«, meinte er.
Lindell sah ihn an und gab ihm insgeheim recht. Gabriella hatte sie bestimmt nicht nur angerufen, weil Lindell formal die Ermittlungen leitete.
Sie beschlossen, daß Lindell am nächsten Morgen zu dem Haus hinausfahren sollte. Sie war zu erledigt, um sich sofort auf den Weg zu machen. Vielleicht war es auch gar nicht so schlecht, wenn die Frau ein wenig Zeit zum Überlegen bekam. Gabriella Mark wußte, daß man sie identifiziert hatte, da war Haver ganz sicher.
Lindell fuhr langsam, fast schon im Schneckentempo, durch die Stadt. Es war ein lauer Sommerabend. Neidisch beobachtete sie die Menschen. Sie gingen spazieren, saßen in Straßencafés, tranken Bier und unterhielten sich gutgelaunt. Andere waren zielstrebig zu Orten unterwegs, über die Lindell nur Vermutungen anstellen konnte. Einige von ihnen wollten bestimmt ins Kino, andere in eine Kneipe, wieder andere waren nach der Arbeit einfach auf dem Heimweg.
Auf der Brücke über den Fyris standen ein paar Jugendliche, höchstens vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Sie traten geschlossen auf den Zebrastreifen, als Lindell sich ihnen näherte. Sie mußte anhalten und versuchte ihnen zuzulächeln, brachte aber nur eine Grimasse zustande. Eines der Mädchen sah sie neugierig an. Als es die Straße überquert hatte, drehte es sich noch einmal um, und ihre Blicke begegneten sich für einen Moment. Was hat sie gesehen? fragte sich Lindell. Im Auto hinter ihr hupte jemand.
Sie bog rechts ab und fuhr über die nächste Brücke zurück. Sie wollte noch nicht nach Hause. Am Fuß der Steigung, die zum Schloß hinaufführte, saß an einen Baum gelehnt ein Mann. Er las Zeitung. Neben ihm stand eine Dose Bier.
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