Das Steinbett
dem Erdkeller erhob sich ein alter, halb eingestürzter Stall. Durch ein großes Loch in der Giebelwand konnte man die morschen Futtertröge erkennen. Brennesseln hatten sich darin breitgemacht.
Sie ging um den Stall herum. An der gegenüberliegenden Giebelwand lag ein großer Steinhaufen. Moosbewachsene Steine waren zu einem knapp drei Meter hohen Hügel aufgeschichtet worden, der aussah wie ein prähistorisches Grab. Hier hatte der Bauer die Steine vom Feld zusammengetragen.
»Edvard«, murmelte sie, »hier würde es dir gefallen.«
Sie dachte an Edvard und den Bootssteg mit seinem Steinbett, den er im Winter gebaut hatte. Hier hätte er Material in rauhen Mengen finden können.
Der Steinhaufen hatte etwas Monumentales, das ihr gefiel: die schwere Feldarbeit des Kleinbauern. Das Gewicht der Steine, bedeckt von Moos und Flechten, stimmte sie wehmütig. Sie begriff, daß dies Edvards Einfluß war. Er hatte von der Landschaft und den Spuren, die der Mensch in ihr hinterlassen hatte, gesprochen, von der Plackerei, die der Schönheit zugrunde lag.
Als sie um den Steinhaufen herumging, erkannte sie augenblicklich, daß etwas nicht stimmte. An mehreren Steinen war das Moos abgeschabt, die Wiese davor war niedergetrampelt. Hier war erst vor kurzem ein Mensch gegangen.
Jemand hatte Steine weggenommen und wieder zurückgelegt.
Warum? Es gab nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatte jemand etwas unter den Steinen hervorgeholt oder etwas dort hingelegt.
Zum dritten Mal rief sie Haver an. »Wir sollten vielleicht lieber erst die Spurensicherung herkommen lassen, ehe ich anfange zu wühlen«, sagte sie.
Haver stimmte ihr wohl auch deshalb zu, weil er sich ihr so anschließen konnte.
Gabriella Mark war erwürgt worden. Gemeinsam hatten Ryde und Haver Stein für Stein abgetragen und den Körper freigelegt. Im Gesicht der Ermordeten hing ein wenig Moos. Ihre Hände waren zu Fäusten geballt. Am Hals erkannte man kräftige blaue Würgemale. Sie hatte Nasenbluten gehabt.
»Ein steinernes Grab«, sagte Lindell.
»Wie bitte?« sagte Ryde. Er beugte sich über die Frau.
»Ein steinernes Grab«, wiederholte Lindell und sah auf die Uhr: 12:32, Donnerstag, der 29. Juni.
Haver beobachtete sie. »Wie bist du überhaupt darauf gekommen, hierhin zu gehen?« fragte er.
»Durch Edvard«, erwiderte sie. Sie spürte die fragenden Blicke des Kollegen, blieb ihm jedoch eine Erklärung schuldig. Sie betrachtete die Frau. In diesem Augenblick hätten sie zusammensitzen und sich unterhalten sollen, aber es war ihr jemand zuvorgekommen.
»Sie hat nicht gerade viel an.« Haver konnte sich nicht vom Anblick ihres fast nackten Körpers losreißen. »Was wußte sie?« fragte er.
»Sie hat geglaubt, daß man Cederén gezwungen hat, den Gin zu trinken«, sagte Lindell.
Ryde blickte interessiert auf. Lindell berichtete von dem Telefonat mit Gabriella Mark.
»Warum sollte man jemanden zwingen, Alkohol zu trinken?«
Lindell zögerte. »Um einen Mord wie einen Selbstmord aussehen zu lassen. Ich glaube, daß er ermordet wurde«, sagte sie schließlich.
Ryde und Haver sahen sie an.
»Ermordet?« fragte Haver. »Du meinst, daß jemand Cederén mit Gin abgefüllt und anschließend mit den Autoabgasen vergiftet hat?«
Lindell nickte.
»Wie erklärst du dir dann die Spuren von Josefins Kleidern auf Cederéns Wagen?«
»Vielleicht saß er am Steuer, vielleicht ein anderer«, meinte Lindell.
»Du meinst, daß die Morde in Uppsala-Näs inszeniert wurden, weil es aussehen sollte, als wäre Cederén der Täter?« fragte Ryde.
Lindell nickte erneut. »Ich weiß doch auch nicht, aber das Ganze scheint mir etwas komplizierter zu sein, als wir am Anfang dachten.«
Gemeinsam mit Haver und Berglund, der inzwischen auch eingetroffen war, durchsuchte Lindell das Haus. Wie immer nahm sie sich als erstes die Küche vor. Haver konzentrierte sich auf das Schlafzimmer, und Berglund begann mit dem Wohnzimmer.
Die Schränke in der Küche waren von der gleichen Art, wie sie früher in Lindells Elternhaus in Odeshög gewesen waren. Mittlerweile hatten ihre Eltern sie gegen dunkles Eichenfurnier mit Messinggriffen ausgetauscht. Aber Lindell gefielen die alten: mit ihren Holzknöpfen und den Regalbrettern aus grobem Holz, die mit Schrankpapier belegt waren, das man mit Reißzwecken befestigte.
Sie ging die Stapel aus Tellern und Schüsseln durch, schaute in jede einzelne Tasse und jeden Topf. Ein Teil des Geschirrs war schon alt, frühe Produkte von
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