Das Sühneopfer: Historischer Kriminalroman (Schwester Fidelma ermittelt) (German Edition)
Zitternd vor Angst stand Fidelma hinter Eadulf.
»Er lebt, doch ob er es schafft, ist fraglich.«
»Gestattet, ich bin am ehesten in der Lage, dem König zu helfen.« Es war die sanfte Stimme des alten Arztes und Apothekers, der Colgú und Fidelma von Kindertagen an betreut hatte.
Eadulf machte ihm sofort Platz. Zweifelsohne gebührte dem Alten der Vorrang.
»Wird er überleben?«, fragte Fidelma mit vor Erregung brüchiger Stimme.
»Ich kann nur tun, was in meiner Macht steht«, erwiderte Bruder Conchobhar knapp. »Alles Übrige müssen wir Gott überlassen.«
Er beugte sich nieder und begann Colgús Tunika und Hemd zu lockern, um die Wunde zu untersuchen.
In der Halle liefen die Gäste kopflos umher, schrien und schilderten einander lauthals, was sie gesehen hatten.
Finguine, der Thronfolger, sprang auf einen Tisch, klatschte in die Hände, um sich Gehör zu verschaffen, und rief: »Haltet ein! Euer Lärmen hilft keinem! Verlasst die Halle, damit sich unsere Ärzte in Ruhe um den König kümmern können.«
Widerstrebend schoben sie sich zu den Türen hin, die schon weit offen standen. Mit dem blanken Schwert in der Hand erwartete Gormán weitere Befehle.
Bruder Conchobhar sah zu Eadulf hoch. »Wir müssen ihn in sein Schlafgemach schaffen. Dort ist es einfacher, seine Wunde zu behandeln.«
Eadulfs Blick suchte Beccan, den Hofmeister. »Rasch, hilf mir, Colgú ins Schlafgemach zu schaffen.«
Beccan stierte noch immer vor sich hin.
»Dich meine ich!«, knurrte Eadulf.
Der Hofmeister zuckte zusammen, blinzelte und begriff, was verlangt wurde. Mit aller Vorsicht hoben sie den reglosen König auf. Bruder Conchobhar ging ihnen voran und führte sie aus der Festhalle.
Eadulf merkte, dass Fidelma ihnen folgen wollte, und sagte über die Schulter: »Du kannst da im Augenblick nicht helfen, besser wäre, du versuchst herauszufinden, wer der Attentäter ist und warum er das getan hat!«
Fidelma wollte aufbegehren, sah aber sogleich ein, dass er recht hatte, und kehrte in die Halle zurück. Dort stand Brehon Aillín benommen und starrte auf den toten Brehon Áedo und den Mörder. Einen Augenblick später war Finguine neben Fidelma und hielt ihr wortlos einen Becher Wein hin. Sie nahm ein paar Schlucke, fühlte, wie der Wein ihren Körper durchströmte. Alle waren wie gelähmt, keiner wusste, was man tun sollte.
»Jetzt ist es wohl an mir, mich um alles zu kümmern … bisColgú wiederhergestellt ist«, meinte Finguine mit verhaltener Stimme. Es klang, als bäte er um ihre Zustimmung.
Brehon Aillín räusperte sich, bevor er sich zu einer Antwort durchrang. »Ich war Brehon Áedos Stellvertreter. Da er nun tot ist, übernehme ich die Verantwortung für die Rechtsprechung im Lande.« Er war im Rat der Brehons der Rangälteste. »Aber natürlich möchte ich dich, Lady, sowohl als Schwester des Königs wie auch als dálaigh um deine Mithilfe bitten«, fügte er höflich hinzu. »Deine Erfahrung in derartigen Fällen ist allseits bekannt.«
»Dazu bin ich gern bereit, Brehon Aillín«, erwiderte Fidelma nach kurzem Bedenken. »Wann immer ich kann, will ich dir und Vetter Finguine mit Rat und Tat zur Seite stehen.«
Finguine fiel ein Stein vom Herzen; er war froh, dass es gar nicht erst zu einem peinlichen Wortwechsel gekommen war, und er sagte zu Brehon Aillín: »Gormán hat den Mörder in die Festhalle gelassen. Vermutlich wirst du ihn als Ersten befragen wollen.«
Der Saal war nun fast leer, nur Brehon Aillín und Fidelma sowie Finguine und Caol standen inmitten der Tische, die noch beladen waren mit dem ungegessenen Festmahl. Gormán war auf seinem Posten am Eingang geblieben. Auf Caols Wink kam der junge Krieger zu ihnen, blass und höchst beunruhigt.
»Sage mir, was du über den Mann weißt«, forderte ihn Brehon Aillín auf und wies auf den Leichnam des Attentäters.
Gormán schürzte die Lippen und zuckte die Achseln. »Viel kann ich dir nicht erzählen. Ich stand auf meinem Posten vor der Festhalle. Einer der Wächter vom Haupttor kam heran, er begleitete den Mönch da.«
»Wer war der Wächter?«, fragte Brehon Aillín.
»Luan heißt er, bei uns hat er den Spitznamen: ›der Spürhund‹.«
»Caol, schick jemand, der Luan holt«, wies Finguine ihn an und gab Gormán das Zeichen weiterzureden.
»Luan sagte zu mir, der Mönch wäre zum Tor gekommen und hätte erklärt, er sei Bruder Lennán von Mungairit und habe eine wichtige Mitteilung für den König. Er sah überhaupt nicht verdächtig aus,
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