Totenbraut (German Edition)
Schwarze Rösser
Der Fremde klopfte mitten in der Nacht an unsere Tür. Ich fuhr aus dem Schlaf hoch und lauschte, während mein Herzschlag gegen meine Kehle hämmerte. Lazar Kosac!, schoss es mir durch den Kopf. Im Halbdunkel der Kammer konnte ich erkennen, dass Bela ebenfalls aufrecht im Bett saß. Draußen tobte eines der vielen Frühjahrsgewitter.
„Tote Frau“, murmelte meine Schwester. „Mohn und Taubenfedern.“
„Schlaf weiter, Bela“, flüsterte ich und schlüpfte aus dem Bett. Vater war bereits aufgestanden, ich hörte seinen schleppenden, unregelmäßigen Gang. Eine Tür knarrte. Dann, leise wie Mäusegetrappel, die schnellen Schritte meiner kleinen Schwestern. Als ich die Stiege hinunterkletterte, sah ich ihre Gesichter im Türschatten. Majda, die Jüngste, blinzelte noch mit Schlafaugen und hatte ihre Finger um den Zipfel ihres Hemdes geschlossen, als könnte sie ihren letzten Traum fest halten. Hinter Majda stand meine älteste Schwester, Jelka. Sie hatte bereits die Axt in der Hand, die sie zu gebrauchen wusste wie kaum jemand hier oben oder unten im Taldorf.
„Nimm den Knüppel!“, befahl sie. Das brauchte sie mir nicht zweimal zu sagen. Ich eilte bereits zu dem großen Haken an der Wand, an dem das knotige Holz hing. Es lag schwer und vertraut in meiner Hand, meine Finger kannten jede Scharte, jede Mulde.
Wieder hämmerte eine ungeduldige Faust gegen die Tür. „Macht auf !“, ertönte eine Männerstimme. „In Gottes Namen, lasst mich ein!“
Jelka runzelte irritiert die Stirn und auch ich wunderte mich. Der Mann da draußen sprach zwar unsere Sprache, aber mit einem fremden Akzent. Vor zwei Jahren hätte uns das nicht weiter überrascht. Damals kamen viele Reisende in unsere Berge, aus Novi Sad, Temesvár und Agram, manchmal auch aus Wien oder Ragusa. Einmal war sogar ein reicher Lateiner mit vielen Dienern durchgereist – aus Venedig kam er und war Kaufmann. Sie alle sahen unser Haus – den Quellbrunnen, den geräumigen Pferdestall – und waren dankbar, ein Rasthaus gefunden zu haben.
Aber inzwischen schreckten wir nur noch selten bei unserem kargen Abendessen hoch, weil wir donnernde Hufe vorbeipreschen hörten. Seit der Räuber Lazar Kosac mit seiner Bande unsere Gegend unsicher machte, mieden die meisten Reisenden den Weg über die Fruška Gora. Oder sie legten die Strecke nur noch im Galopp zurück, geschützt von bewaffneten Eskorten. Nicht nur ein Reisender war den Räubern trotzdem in die Hände gefallen und hatte sich tödlich verwundet noch bis zum Rand unseres Ackers geschleppt. Dort fand mein Vater ihn dann morgens und holte unser Pferd, um den Leichnam zu den anderen Gräbern am Hang zu bringen, weit weg von unserem eigenen Friedhof. Unsere Toten – meine Mutter und meine Schwester Nevena, die vor einem Jahr in die Talschlucht gestürzt war – ruhten in einem kleinen Rund von Linden, weit entfernt von den letzten Stätten der namenlosen Reisenden, auf deren Gräbern wir wilde Rosen und Weißdorn pflanzten, um ihnen Frieden zu geben. Und wie es Brauch war, stieß mein Vater den Toten ein Messer ins Herz und band ihre Körper in Fischernetze, mit denen wir sie begruben. Das sollte sie daran hindern, in die Welt der Lebenden zurückzukehren. Dennoch fürchtete ich mich oft und verrieb Knoblauch an unseren Türen.
Der Gast der heutigen Nacht hörte sich allerdings ganz und gar nicht so an, als läge er im Sterben. Wie ein Echo seiner Faustschläge trommelte der Sturmregen gegen die Holzwände. Jelka stand aufrecht mit ihrer Waffe. Das geölte Axtblatt wartete nur darauf, Räuberblut zu schmecken. Ich stellte mich neben die Tür und hob den Knüppel. Mein Vater packte seinen alten, schartigen Säbel fester.
„Wer da?“ Seine donnernde Stimme ließ nicht vermuten, dass sie einem schmächtigen, gebeugten Mann gehörte. Von Jahr zu Jahr schien Vater kleiner zu werden.
„Ein Reisender“, antwortete der Fremde. „Ich komme aus Ungarn und bin seit vielen Tagen unterwegs. Im Sturm habe ich meine Männer aus den Augen verloren. Ich gebe euch gutes Geld für eine Unterkunft, wenn ihr mich einlasst – wenigstens, bis das Gewitter aufhört.“
Jelka und mein Vater wechselten einen ratlosen Blick. Im Licht der glimmenden Kienspäne, die in einem eisernen Halter auf dem Tisch staken, ähnelte Jelka meiner Mutter plötzlich so sehr, dass es wehtat, sie anzusehen.
„Eine Falle?“, flüsterte sie besorgt.
Mein Herz schlug schneller, ich hob den Knüppel ein Stück
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