Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
Mom in den letzten Tagen. Und wie Mom versucht auch Paul, es zu ignorieren und die letzten Sätze herauszupressen. Dinge, die man glaubt, noch sagen zu müssen.
Und wie bei Mom muss ich mich über ihn beugen, um überhaupt etwas zu verstehen.
»Im Rucksack … ein Joint.«
Das war nicht das, was ich erwartet habe. Aber ich kapiere ziemlich schnell. Kiffen gegen Schmerzen. Ich kann Paul das Sterben erleichtern. Das Letzte, was ich für ihn tun kann.
Ich greife nach dem Rucksack, wühle in seiner Unterwäsche und der muffigen Kleidung.
»Nein«, flüstert er. »Im Seitenfach.«
Ich ziehe meine Hände zurück, die so stark zittern, dass ich nicht weiß, ob ich überhaupt in der Lage bin, einen Joint zu drehen.
Etwas knistert, als meine Finger in das Fach greifen. Ich ziehe eine Plastiktüte heraus. Jetzt brauche ich nur noch Zigarettenpapier. Es ist ganz unten. Ich fühle das Päckchen.
Danach muss ich mich erst einmal beruhigen.
»Ich hoffe, du kennst dich aus mit dem Zeug?« Ein schwaches Grinsen überzieht Pauls Gesicht. »Oder gibt es das in der Zukunft nicht mehr?«
»Du hast Glück. Du bist genau an den Richtigen geraten.«
Als ich das Marihuana aus dem Beutel hole, beruhige ich mich. Ich bin schließlich kein Anfänger.
Ich ziehe ein Papier aus der Packung, streiche es glatt, verteile die Haschischkrümel gleichmäßig und rolle den Joint in meinen Fingern. Als er die perfekte Form hat, fahre ich mit der Zunge über den Streifen und … halte mein Meisterwerk in der Hand.
»Ich hoffe, du bist zufrieden. Irgendwo Feuer?«
»In meiner Jacke.«
Als ich den Reißverschluss der Jackentasche aufziehe, fällt mir das Feuerzeug schon entgegen. Ein Werbegeschenk von Air Canada.
»Kannst ruhig einen Zug nehmen«, flüstert Paul.
»Nein, ich brauche das Zeug nicht mehr«, erwidere ich, bringe den Joint zum Brennen und stecke ihn Paul in den Mund. »Ich bin sowieso schon auf einem Trip.«
Wieder lacht er. Das klingt so angestrengt, dass es mir wehtut.
Aber, auch wenn er stirbt und ich weiß ja, dass genau das passiert –, habe ich ihm ein Stück Leben gerettet. Minuten, vielleicht nur Sekunden, aber mal ehrlich, zehn Minuten früher oder später zu sterben. Macht das einen Unterschied? Im Maßstab des Universums ist das völlig egal. Das geht dem Universum am Arsch vorbei, oder?
Ich sehe ihm zu, wie er langsam einen Zug nach dem anderen nimmt. Er ist nicht mehr in der Lage, den Joint festzuhalten, also helfe ich ihm. Nach einigen Minuten spüre ich, wie er ruhiger wird. Und schwächer.
Ich lasse den Joint fallen und trete ihn in den Boden.
»Danke«, sagt er schließlich. »Jetzt kann ich die große Reise antreten.«
Wir schweigen einige Minuten. Ich lausche seinem Atem, der rasselnd durch seine Brust geht.
»Hey, weißt du was, Alter?«, flüstert er plötzlich. »Wenn du mal einen richtig geilen Trip erleben willst, dann sieh in meinem Brustbeutel nach. Dort findest du alles.«
Ich schüttele den Kopf. Wie soll ich ihm erklären, dass mir auf einem Trip nicht wirklich nach einem Trip zumute ist?
»So etwas kann man sich nicht ausdenken«, fährt er fort und schließt die Augen. »Ich war dort unten, verstehst du? Ich dachte, ich komme nie wieder raus. Aber …«
Er bricht ab, weil er erneut husten muss. Ich wische ihm mit bloßer Hand den Speichel vom Mund.
»Hast du Durst?«
»Nur wenn du ein Bier hast.«
Mir ist zum Heulen zumute. Frage mich, warum immer die Besten sterben müssen, und eine unbändige Wut auf Milton überfällt mich. Ich hasse ihn. Ich hasse das alles.
»Milton, oder? Er ist schuld.«
Ich weiß nicht, ist das ein Seufzer, der aus Pauls Kehle kommt, oder ein Röcheln?
»Niemand ist schuld. Ich hätte die Pilze nicht mitnehmen sollen, hätte vielleicht überhaupt nicht zurückgehen sollen.«
»Was wäre anders gewesen?«
»Das Tal prüft uns. Uns alle. Auch dich. Es hält dich in seinen Fängen, lässt dich nicht los. Es beobachtet dich. Es will wissen, ob du die Kraft hast zu widerstehen. Du musst immer auf der Hut sein. Bleib wachsam! Lass dich nicht täuschen. Ich habe es nicht ernst genommen. Konnte nicht widerstehen. Macht nicht dieselben Fehler. Haltet zusammen. Dann gibt es eine Chance. Aber das Blöde ist, oder … wir wissen nicht, was kommt.« Er holt keuchend Luft. »Sohn von Kathleen, wie heißt du?«
»Benjamin.«
»Falsche Entscheidungen, Benjamin. Geht es nicht immer um falsche Entscheidungen?«
Pause.
»Woher sollte ich wissen, was richtig
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