Das Tal Bd. 7 - Die Jagd
sich dennoch merkwürdig ähneln.
»Robert«, ich höre Julias Aufschrei bis nach oben. Sie spricht plötzlich deutsch. »Das ist Papa.«
Und dann fangen alle an zu reden.
»Sie sind so jung«, ruft Rose. »Und … mein Gott, das ist Grace … ich wusste nicht, wie ähnlich sie Mom sieht.«
Jeder von uns sucht nach seiner eigenen Verbindung. Es fühlt sich an wie in meinen Zeitreisen. Die Zeitebenen – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft –, sie verschmelzen miteinander.
Ich höre, wie Chris laut neben mir atmet. Er hat den einen Mann im Visier, um den es ihm geht. Professor Bishop steht in der Mitte des Kreises und Mimik, Gestik, Körperhaltung verraten, wie sicher er sich fühlt. Es ist Chris. Dieselbe Körperhaltung. Distanz, Coolness, nur mit einem Unterschied. Bishop strahlt darüber hinaus noch etwas anderes aus – eine Art von … Demut? Bullshit – falsch. Das ist ein Wort fürs Archiv, fürs Museum. Hingabe. Das trifft es eher. Und man kann es fast mit den Händen fassen. Er zieht sie mit seinen Worten in den Bann. Das ist klar, auch wenn ich nur die Bewegungen des Mundes sehe.
Und der Junge, der neben einem Mädchen in einem langen Häkelrock sitzt … das muss Paul Forster sein. Ich kenne ihn von dem Foto, das wir gefunden haben. Dann bleibt nur noch Frank Carter. Vermutlich der Typ, der mit dem Rücken zu uns sitzt. Sie sind so jung. Sie sind so glücklich. Und bald wird ihr Leben, so wie sie es bisher kannten, vorbei sein.
Und – das habe ich ausgeklammert – da ist dann noch meine Mutter. Punktgenau nimmt die Kamera sie jetzt in die Totale. Sie ist dabei, ein knallgelbes Tuch in ihre Haare zu binden. Als sie die Kamera bemerkt, winkt sie und grinst.
»Du bist ihr ähnlich«, murmelt David. Nicht – du siehst ihr ähnlich – das könnte ich auf die Gene schieben. Aber die Art, wie sie jetzt Grimassen schneidet, offenbar einen Scherz macht und alle zum Lachen bringt – nimmt mir etwas von mir selbst. Als sei ich nicht ich selbst, sondern lediglich eine Kopie.
Für einen Moment will ich aufspringen und den Film abschalten. Doch ich werde abgelenkt. Ein Schnitt. Ein Schatten, ich zucke unwillkürlich zusammen, denke an den Schattenmann aus meinen Visionen, doch dann entpuppt sich der Schatten als ein hochgewachsener Junge mit Rastalocken. Er trägt eine Gitarre und drängt sich jetzt zwischen meine Mutter und Grace – die personifizierte Schönheit.
»Okay, passt gut auf. Jetzt kommt’s«, ruft Robert.
Ich bin total verwirrt, habe keine Ahnung, worauf Robert hinauswill, aber das ist nichts Ungewohntes. Kennt er den Streifen?
Ganz automatisch stoppe ich den Film, lasse das Bild einfrieren. Robert steht auf und deutet auf die Gruppe. »Seht – es sind alle da, wie auf dem Polaroidfoto.« Er geht sie einzeln durch. »Kathleen Bellamy, die leibliche Mutter von Benjamin. Mark, der Vater von Julia und mir. Grace, die Tante von Rose. Katies Mutter Eliza Chung. Paul Forster, Milton Jones. Martha Flemings, alle Nachkommen von Sarah Cushing und damit Dave Yellad. Und Frank Carter.«
»Was stimmt daran nicht?« David versteht nicht, genauso wenig wie wir anderen.
»Auf dem Bild sind neun Studenten zu sehen«, erklärt Robert. »Neun. Nicht acht.« Er schaut hoch zu mir. »Lass den Film noch einmal weiterlaufen, Ben.«
Ich gehorche, starre nach vorn auf die Leinwand. Wir sind alle elektrisiert. Irgendetwas sind wir auf der Spur, so viel ist klar. Und dann sehen wir es. Der Junge, der der Kamera bisher den Rücken zugedreht hat, steht langsam auf und wendet dem Kameramann das Gesicht zu. Er ist kleiner als die anderen und seine Züge wirken deutlich jünger.
Meine Hand zuckt vor wie von allein, das Bild gefriert.
»Peter Forster.« Roberts Stimme hallt durch den Kinosaal, selbst hier oben ist er bestens zu verstehen. »Der Bruder von Paul. Das ist es. Das ist die Lücke. Er war nicht dabei und deswegen hat sich der Kreis nicht geschlossen.«
»Peter Forster.« Das ist Julia, ihre Stimme klingt nicht mehr wie die ihre. »Die anderen wollten ihn nicht dabeihaben. Und er hat später unserem Vater die Schuld dafür gegeben, dass sein Bruder gestorben ist.«
Das stimmt. Genau wie die anderen erinnere ich mich an Peter Forster und das, was er während des Schneesturms vor über zwei Jahren getan hat. Peter, der sein Leben lang nicht verwinden hatte können, dass er nicht mit auf den Ghost durfte.
Dennoch, ich begreife nicht ganz. Worauf will Robert wirklich hinaus? Ich werfe Chris einen Blick zu,
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