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Das Tal der Wiesel

Das Tal der Wiesel

Titel: Das Tal der Wiesel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.R. Lloyd
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verteidigte sich standhaft mit einer beeindruckenden Furchtlosigkeit. Sie war ein Feuersturm gewesen. Und eine Schwätzerin.
    Er erinnerte sich an seine ersten Schritte außerhalb des Schlupfwinkels, an seine Ausbildung zum Jäger und an ihr eindringliches Schelten, wenn er aus der Reihe tanzte. »Hintereinander! Und nicht herumtrödeln!« Dies waren die warmen Tage gewesen, alles war in Farben getaucht und wurde von der Sonne beschienen. Er dachte an die bunten Schmetterlinge auf den Fenchelblüten und an den heißen Atem der Ochsen auf der Weide. Er hatte weder das erregende Gefühl vergessen, das entstand, wenn man mit wellenförmigen Bewegungen an ausgetrockneten Gräben entlanglief, noch das Auflauern im Hinterhalt neben den Brennesseln.
    Diese Übungen waren wichtig für das Überleben. Aber Kine hatte nicht nur überlebt, er hatte auch Aufsehen erregt. Seiner Meinung nach gab es niemanden, der beim Todestanz gewandter war, der einen besseren Jäger abgab oder, wenn er es wollte, mehr Großmut zeigte als er. Von Zeit zu Zeit traf er mit seinen Familienmitgliedern zusammen, doch sie streiften in Wieselmanier umher und zogen weiter. Er stillte seinen Hunger allein. Und wenn er vollgefressen war, klang sein Gesang nicht gerade bescheiden. »Tchk – kkkk – chk. Ich bin klein, aber ich heiß’ Kine, und dies ist mein Land.«
    Nachdem er diese Herausforderung verkündet hatte, stolzierte er weiter. Am Opferkreuz, dem Galgen des alten Wildhüters, blieb er in hochachtungsvoller Andacht stehen. Hermeline und Wiesel, ungefähr zwanzig, waren an das Holzkreuz genagelt worden. Die Zeit hatte viele zu bloßen Streifen werden lassen, andere hingen dort im verwesenden Zustand, mit vergilbten Schneidezähnen und kahlen Schädeln. Einige, die erst kürzlich angenagelt worden waren, trugen stellenweise noch ihr Fell, das nicht mehr glänzte, sondern matt und dunkel geworden war. Der Anblick übte eine heilsame Wirkung aus. Kine wurde an die Gefahren, die von Gewehr und Falle ausgingen, erinnert – und, seitdem die Wildhüter verschwunden waren, an seinen bedrohlichsten Gegner, den Wilderer.
    Der Schrei in der Nacht unterbrach den Traum des Mannes. Als er am Kamin schlief, war ihm, als verließe ihn seine Seele in der Gestalt einer Maus durch den geöffneten Mund. Die Maus hatte geschrien, als sich etwas auf sie herabstürzte. Wilderer glaubte eigentlich nicht so recht an die Geschichte mit der Seelenmaus, doch – ebenso wie die vom Lebensbaum – verfolgte sie ihn. Er war mit den Mysterien des Tales vertraut, und im Zeitalter des Mähdreschers war er vielleicht eher heidnisch als abergläubisch zu nennen.
    In der unberührten Natur trugen sich seltsamere Dinge zu als in der Phantasie der Philosophen, behauptete Wilderer. Und diejenigen, die es bezweifelten, sollten einmal eine Nacht im Wald oder in der Marsch dort unten verbringen: Sollten sie den Banshees, den Todesfeen, in den Bäumen und Hecken zuhören, und dem Knurren und Rascheln aus den dunklen Erdhöhlen; sollten sie das weiße Gespenst beobachten – es war die vorbeifliegende Schleiereule – oder den Hauch der Fledermausflügel spüren. Sollten sie sich doch über Kobolde und Elfen lustig machen!
    Nach dem Sonnenuntergang wurde das Land unheimlich, voller Groll und Unheil, wie das Herz eines Wiesels. Nachts scharrte der Igel, die Ratte quiekte. In der Dunkelheit schlichen kleine vereinzelte Geschöpfe auf versteckten Pfaden herum, während mit Schnurrhaaren versehene Wesen vorwärts marschierten und sich wieder zurückzogen. Dann versammelten sich die Stämme der Klauen und Krallen. Viele Berichte der ländlichen Geschichtsschreibung zeugten davon, daß Reisende von umherstreunenden Nagetierbanden wie von plündernden Räuberhaufen angefallen worden waren.
    Wilderers Knochen taten ihm weh. Diesen Winter hatte die große Silberweide einen Ast verloren; seitdem peinigten ihn Schmerzen, die jede Bewegung zur Qual machten. Eine Grimasse ziehend, trat er gegen die glühenden Holzstücke im Kamin und nahm das Gewehr von der Wand. Die neu entfachten Flammen beleuchteten den Gewehrschaft und die Metallränder der Patronen. Der Schaft stammte von einem Walnußbaum, der neben dem Häuschen wuchs, und war in den Tagen seines Vaters abgelagert und geformt worden. Es sah nicht so streng aus wie ein modernes Gewehr; durch den Glanz zeigte sich die Maserung, die sich kräuselte wie Mädchenhaar, lebendig und weich. Wilderer strich darüber. Seine Hand zitterte. Noch stärkere

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