Das Tao der Physik
desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines solchen Austauschvorgangs, desto häufiger
werden virtuelle Teilchen ausgetauscht. Die Rolle der virtuellen Teilchen ist jedoch nicht auf diese Wechselwirkungen beschränkt. Zum Beispiel kann ein Nukleon allein durchaus ein
virtuelles Teilchen aussenden und kurz darauf wieder absorbieren. Vorausgesetzt, daß das erzeugte Meson innerhalb der vom
Unsicherheitsprinzip erlaubten Zeit wieder verschwindet, gibt
es nichts, was einem solchen Prozeß widerspricht. Das Feynman-Diagramm eines Neutrons, das ein Pion aussendet und
wieder absorbiert, ist unten abgebildet.
Ein Neutron (n) emittiert und reabsorbiert ein Pion
Die Wahrscheinlichkeit von
solchen
»Selbst-Wechselwirkungsprozessen« ist für Nukleonen wegen ihrer starken Wechselwirkung sehr groß. Das bedeutet, daß Nukleonen in Wirklichkeit die ganze Zeit über virtuelle Teilchen emittieren und
absorbieren. Nach der Feldtheorie muß man sie als Zentren
dauernder Aktivität betrachten, umgeben von einer Wolke virtueller Teilchen. Die virtuellen Mesonen müssen ganz kurz
nach ihrer Erzeugung wieder verschwinden, sie können sich
also nicht sehr weit vom Nukleon entfernen. Somit ist die Mesonenwolke sehr klein. Ihre äußeren Regionen werden von
leichten Mesonen (meistens Pionen) bevölkert, die schwereren
Mesonen sind auf den inneren Teil der Wolke beschränkt, da
sie nach viel kürzerer Zeit absorbiert werden müssen.
Jedes Nukleon ist von einer solchen Wolke virtueller Mesonen umgeben, die nur außerordentlich kurze Zeit leben. Unter
besonderen Umständen können jedoch virtuelle Mesonen zu
reellen Mesonen werden. Wenn ein Nukleon von einem anderen, sehr schnellen Teilchen getroffen wird, kann ein Teil der
Bewegungsenergie des Teilchens auf ein virtuelles Meson übertragen werden und es aus der Wolke befreien. Auf diese Weise
werden in Hochenergie-Kollisionen reelle Mesonen erzeugt.
Wenn sich andererseits zwei Nukleonen so nahe kommen, daß
sich ihre Mesonenwolken überlappen, können einige virtuelle
Teilchen, anstatt zu dem Nukleon, das sie erzeugte, zurückzukehren, zum anderen Nukleon »hinüberspringen« und von diesem absorbiert werden. So entstehen die Austauschprozesse,
die die starken Wechselwirkungen darstellen.
Dies Bild zeigt deutlich, daß die Wechselwirkungen zwischen
Teilchen, und somit die »Kräfte« zwischen ihnen, von der Zusammensetzung ihrer virtuellen Wolken bestimmt werden. Die
Reichweite einer Wechselwirkung, d. h. der Abstand zwischen
dem Teilchen, bei dem die Wechselwirkung einsetzt, hängt von
der Ausdehnung der virtuellen Wolken ab, und die detaillierte
Form der Wechselwirkung richtet sich nach den Eigenschaften
der Teilchen in den Wolken. So sind die elektromagnetischen
Kräfte der Anwesenheit virtueller Photonen »innerhalb« von
geladenen Teilchen zuzuschreiben, während die starken Wechselwirkungen zwischen Nukleonen aus der Anwesenheit von
Pionen und anderen Mesonen »innerhalb« der Nukleonen herrühren. In der Feldtheorie erscheinen die Kräfte zwischen Teilchen als innere Eigenschaften der Teilchen. Kraft und Materie,
die beiden Begriffe, die im griechischen und im Newtonschen
Atomismus so streng getrennt waren, haben nach heutiger Ansicht ihren gemeinsamen Ursprung in den dynamischen Strukturen, die wir Teilchen nennen.
Solche Ansicht von den Kräften ist auch für die östliche Mystik charakteristisch, die Bewegung und Wandel als wesentliche
innere Eigenschaften aller Dinge betrachtet. »Alle rotierenden
Dinge«, sagt Chang Tsai mit Bezug auf den Himmel, »haben
eine spontane Kraft, und ihre Bewegung ist ihnen somit nicht
von außen auferlegt«, 13 und im I Ching lesen wir: »(Die Naturgesetze sind keine Kräfte außerhalb der Dinge, sondern
repräsentieren die Harmonie der ihnen innewohnenden Bewegung.« 14
Diese alte chinesische Beschreibung der Kräfte als Repräsentanten der Harmonie der in den Dingen wohnenden Bewegung erscheint im Licht der Quanten-Feldtheorie besonders
angebracht, wo die Kräfte zwischen Teilchen als Ausdruck der
dynamischen Strukturen (die virtuellen Wolken) gesehen werden, die diesen Teilchen innewohnen.
Die Feldtheorien der modernen Physik zwingen uns, die
klassische Unterscheidung zwischen Masseteilchen und der
Leere fallen zu lassen. Die Einsteinsche Gravitationstheorie
und Quanten-Feldtheorie zeigen beide, daß Teilchen nicht vom
sie umgebenden Raum getrennt werden können. Einerseits bestimmen sie die Struktur dieses Raumes, andererseits
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