Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
hatte. Allein, es hatte vor
allem den Gästen Spaß gemacht, keineswegs aber der Jubilarin selbst. Zwar hatte
sich Fenna den ganzen Abend bemüht, einen fröhlichen und gelösten Eindruck zu
machen, aber Jan Scherrmann hatte sie nicht täuschen können. Nicht nur ihm war
bekannt, dass die alte Dame eigentlich viel lieber im Familienkreis mit ihrer
noch lebenden Schwester Okka und ihren Kindern, Enkeln und Urenkeln gefeiert
hätte. Aber das hatte ihr Gatte nicht zugelassen. Nein, Fenna sollte sich
feiern lassen, an ihrem großen Tag, da kam gar nichts anderes infrage. Und wenn
Lübbo das so beschlossen hatte, dann war es Gesetz. Egal, was seine Frau oder
irgendwer dazu zu sagen hatte. Alles, was Lübbo sagte, war Gesetz, das kannte
man in Canhusen nicht anders. Und somit widersprach ihm auch keiner. Insgeheim
tat den Menschen ihre alte Nachbarin Fenna zwar leid, wusste doch ein jeder,
wie ungern sie im Mittelpunkt stand und wie wohl sie sich hingegen im Kreise
ihrer Lieben fühlte. Aber auch das war Canhusen. Es nahm auf den Einzelnen
nicht viel Rücksicht, wenn es galt, den Frieden im Dorf zu wahren. Und das war
nur möglich, wenn man sich gut mit Lübbo Krayenborg stellte. Alles andere wäre
gesellschaftlicher Selbstmord gewesen.
Jan Scherrmann drückte Fenna die
Hand und bemerkte, dass sie trotz der Hitze eiskalt war. Er sah der zierlichen
Frau lächelnd in das von tiefen Falten durchfurchte Gesicht, und sie nickte ihm
freundlich zu, wobei sie sich allerdings leicht zur Seite drehte, wohl um den
Bluterguss, der auf ihrer rechten Wange prankte, zu verstecken.
„Das sieht aber nicht gut aus“,
bemerkte Scherrmann dennoch und sah sie mit zusammengekniffenen Augen an.
„Och, Fenna ist mal wieder ein
bisschen trottelig gewesen“, bemerkte Lübbo und schlang grinsend den Arm um die
Hüfte seiner Frau. „Hat sich an der Tür vom Küchenschrank gestoßen. Ich hatte
ihr ja vorher gesagt, sie solle sie lieber wieder zumachen, nicht dass sie sich
stößt beim Geschirrspüler ausräumen. Aber, nun ja, sie wollte ja nicht auf mich
hören.“
„Ja“, pflichtete ihm nun sein
Freund Johann Schepker bei und lachte kurz auf, „so ist unsere Fenna, ständig
legt sie sich mit Möbelstücken an oder fällt die Treppe runter. Aber das ist
nun mal so, Jan, da musste dir nichts bei denken. Das war schon immer so, seit
ich sie kenne, seit achtzig Jahren nämlich.“
Scherrmann räusperte sich
vernehmlich, erwiderte aber nichts. Stattdessen wandte er sich den zahlreichen
Kisten zu, die sich vor den Stellwänden stapelten. Auf jeder der Kisten stand
in großen schwarzen Ziffern eine Jahreszahl oder ein Zeitraum. Er hatte sie
gestern schon vorsortiert, jetzt mussten die Bilder und die dazugehörigen
Bildunterschriften nur noch an ihren Platz geheftet werden.
„Na, dann legen wir mal los“,
verkündete Lübbo Krayenborg, griff sich die erste Kiste mit der Aufschrift
1920-1932 und wuchtete sie mit einem lauten Stöhnen auf einen der Tische, die
in der Mitte des Raumes standen. „So, Fenna, du gibst mir die Fotos und ich
bringe sie an der Tafel an“, keuchte er und wischte sich mit einen Taschentuch
aus blau kariertem Stoff die Schweißperlen von der Stirn.
„Ich würde auch gerne die Fotos
anbringen“, sagte Fenna leise, „daran hätte ich großen Spaß. Weißt du, Jan“,
fügte sie an Scherrmann gewandt hinzu, „ich bin schon ganz gespannt, was da
alles in den Kisten zu finden ist. Ich habe ja mein ganzes Leben in Canhusen
verbracht und bestimmt so einiges vergessen. Es war eine so großartige Idee von
dir, diese Ausstellung zu machen, Jan. Erst gestern habe ich zu Johanns Frau
Edith gesagt, dass ...“
„Fenna, hör auf so viel zu
brabbeln und gib mir endlich die Fotos“, brummte Lübbo und sah seine Frau
finster an. „Die Geschichten, die du zu erzählen hast, interessieren Jan doch
überhaupt nicht.“
„Doch, sicher interessieren sie
mich, und ich fände es auch gut, wenn Fenna die Fotos ...“, warf Jan ein, wurde
aber durch den herrischen Tonfall seines Nachbarn sogleich wieder unterbrochen.
„Fenna, die Fotos, aber ein
bisschen fix!“, brüllte Lübbo und sein Gesicht lief puterrot an. Er duldete
keinen Widerspruch. Schlimm genug, dass nicht ihm die Idee mit der
Fotoausstellung gekommen war, sondern Jan, einem Zugezogenen, der mit diesem
Dorf so rein gar nichts zu tun hatte. Aber sich von ihm nun auch noch
vorschreiben zu lassen, wer hier was zu tun hatte, das ging wirklich zu weit.
Mit viel Sorgfalt
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