Das Teekomplott - Ostfrieslandkrimi
noch
durchringen würde. Zu viel stand dabei für sie auf dem Spiel. Ihr Leben würde
plötzlich ein ganz anderes sein. Womöglich würden sich sogar viele ihrer
Freunde und Bekannten gegen sie stellen, da sie ihre vermeintlich heile Welt
verraten und die sorgsam errichtete Fassade eingerissen hatte. Nein, die
Menschen wollten ihre Ruhe haben und sich in ihrem vertrauten Umfeld, in ihrer
kleinen Welt in Sicherheit wiegen, koste es, was es wolle. Packte Fenna aber
aus und würde ihren prügelnden Mann anzeigen, dann würden Fragen gestellt.
Viele Fragen. Im ganzen Dorf. Bei jedem einzelnen Nachbar. Und das wäre
unverzeihlich. Eine alte Frau, die das ungeschriebene Gesetz einer
Dorfgemeinschaft, persönliche Probleme zum Wohle der Gemeinschaft so tief wie
irgend möglich unter den Teppich zu kehren, missachtete, würde für immer in
Ungnade fallen. Sie wäre plötzlich nicht mehr Opfer sondern Täter. Sie würde
nicht auf Mitleid hoffen können. Sie wäre auf einmal sehr einsam.
Eike Diekhoff sah Scherrmann
bereits erwartungsvoll entgegen, als dieser die kleine Treppe zum Gemeindehaus
hinunter kam und auf die Straße trat. Sofort schickte er seine zwei Kinder weg,
die ihn, ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, anscheinend um irgendetwas angebettelt,
es aber nicht bekommen hatten und nun beleidigt von dannen zogen.
„Na, Herr Diekhoff“, fragte
Scherrmann, „was gibt es denn so dringend?“
„Ach, die wollten nur schon
wieder ein Eis aus der Gefriertruhe haben. Dabei steht hier doch alles voller Kuchen.“
Diekhoff machte eine ausladende Armbewegung und fing damit die gesamte Szenerie
rund um das Gemeindehaus ein.
Scherrmann lachte. „Ja, so sind
sie, die Kinder. Aber das meinte ich allerdings gar nicht. Ich wollte
eigentlich nur wissen, warum Sie mich so dringend sprechen wollten.“
„Ach so.“ Diekhoff grinste und
fuhr sich verlegen durch den Bart. Dann sah er sich nach allen Seiten um.
„Können wir vielleicht ein Stück gehen, weg von den ganzen Leuten hier?“
„Na, Sie machen es aber
spannend.“
„Muss ja nicht jeder gleich
hören, was wir zu besprechen haben.“
„O. k., laufen wir ein Stück.
Vielleicht einmal den Canhuser Ring entlang? Dann kommen wir hier irgendwann
automatisch wieder an.“
„Also, wenn Sie mich fragen, Herr
Scherrmann, dann kommen wir hier immer automatisch wieder an, egal, in welche
Richtung wir laufen. So groß ist Canhusen ja nun wirklich nicht.“
„Da haben Sie zweifelsfrei
recht.“
Als sie sich auf den Weg einmal
rund um das Dorf machten, wie Scherrmann es vorgeschlagen hatten, nahm Eike Diekhoff
Daumen und Zeigefinger in den Mund und stieß einen schrillen Pfiff aus. Gleich
darauf kam ein mittelgroßer, schwarzweißer Mischlingshund laut kläffend und
wild mit dem Schwanz wedelnd aus einem Gebüsch geschossen und schloss sich
ihnen an.
„Woodstock scheint sich ja
mächtig über den Spaziergang zu freuen“, stellte Scherrmann fest.
„Jo. Ist ein wilder Hund. Streunt
den ganzen Tag wie ein Vagabund durch die Gegend und tut dann so, als wäre er
tagelang eingesperrt gewesen, wenn man ihn auf einen Spaziergang mitnimmt.
Versteh einer diesen Köter.“
Woodstock rannte, die Nase wie
ein Trüffelschwein immer am Boden, den beiden Männern ein ganzes Stück voraus,
markierte hier und da einen Grasbüschel am Wegesrand und fischte schließlich
einen Ast aus einem Straßengraben, der mindestens doppelt so lang war wie er
selbst. Mit stolz erhobenem Kopf kam er auf Scherrmann zu und schmiss ihm den
Stock direkt vor die Füße. Der tat ihm den Gefallen, nahm den Ast hoch und
schleuderte ihn dann weit ins Feld hinein. Aufgeregt kläffend setzte Woodstock
seiner Errungenschaft nach, sprang mit einem Satz über den Graben und war nun
für eine ganze Weile mit der Suche beschäftigt.
„Also, Herr Diekhoff, was wollten
Sie mit mir besprechen?“, fragte Scherrmann.
„Es geht um meinen Hof. Besser
gesagt um die Tiere.“
„Ihre Kühe, meinen Sie.“
„Ja, und auch die Schweine.“
„Was ist mit ihnen?“
„Ich habe sie schlachten lassen.
Also, ein paar von ihnen. Die, die gerade an der Reihe waren eben.“
„Das kommt vor auf einem
Bauernhof“, bemerkte Scherrmann, und sein ironischer Unterton war kaum zu
überhören.
„Jo. Aber jetzt hab ich ein
Problem. Ein böses Problem.“
„Und das wäre?“
„Die Händler wollen mir das
Fleisch nicht abnehmen.“
„Warum das denn? Ist irgendwas
damit nicht in Ordnung?“
„Das kann mal wohl sagen.
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