Das Testament des Gunfighters
leer gefegt.
»Ich meine, Sie müssen doch irgendwo in der Stadt ein Quartier haben.«
Sie schnaufte schwer. »Dort, wo ich wohne, kann ich nicht hin«, wich sie aus. »Man würde mich finden und wieder einsperren.«
»Sie wissen nicht, wohin?«
Marjorie nickte zerknirscht.
Timmy sah sie aufmerksam an. Offenbar reimte er sich dies und jenes zusammen. Schließlich griff er unter seine Jacke und brachte einen kleinen Schlüssel mit abgefeuerter Patronenhülse als Anhänger zum Vorschein.
»Ich habe in der Toughnut Street eine Kammer«, sagte er. »Sie ist nicht sehr groß, aber wenn man zusammenrückt, haben auch zwei Leute darin Platz. Wenn Sie wollen, können Sie vorläufig dort wohnen.«
»Du bist ein Schatz«, strahlte sie.
Timmy erklärte ihr, wo sie die Kammer fand, dann flitzte er ins Hotel zurück.
Auf Schleichpfaden begab sich Marjorie zur Toughnut Street. Als sie die Kammer des Hotelboys betrat, fiel ihr ein Stein vom Herzen.
Fürs Erste war sie in Sicherheit. Niemand würde ihr hier zu Leibe rücken und sie mit Fragen löchern, auf die sie keine Antwort wusste.
Sie verspürte Durst. In einer Ecke fand sie einen Tonkrug, der zur Hälfte mit Trinkwasser gefüllt war. Sie goss sich einen Becher voll und trank langsam.
Dabei ließ sie ihre Augen durch ihr neues Zuhause wandern. Die Einrichtung war wirklich sehr spartanisch. Stuhl, Tisch, Bett, ein kleiner Spülstein und ein winziges Holzregal Marke Eigenbau, das an zwei rostigen Haken hing. Eine alte Bibel und eine Handvoll zerlesener Cowboyhefte lagen darauf.
Marjorie nahm das oberste Heft und starrte auf das Titelbild. Es zeigte einen Mann mit Bart, der auf einem Pferd ritt und die rechte Hand in die Luft streckte.
»Mein Gott, das Bild kenne ich doch«, murmelte sie und verfiel ins Grübeln.
***
Lassiter schloss auf, sah das leere Bett, den wehenden Vorhang und ballte die Fäuste.
Debby Fuller lief durchs Zimmer zum Fenster. »Wir kommen zu spät«, stellte sie fest.
»Sagten Sie nicht, der Doktor hätte Marge ein Schlafmittel verabreicht?«, meinte John Macon.
Lassiter bemerkte den versteckten Spott in der Stimme des Alten und ärgerte sich. Es war ein Fehler gewesen, Marjorie allein zu lassen. Dr. Rileys Medizin hatte nicht angeschlagen. Die Verwirrte war aufgewacht und hatte sich verdrückt.
»Dann brauchen Sie mich ja jetzt nicht mehr, oder?«
Lassiter beäugte den Greis düster. »Sobald wir Marjorie gefunden haben, stehen wir bei Ihnen auf der Matte.«
»Viel Erfolg.« Macon schob ab.
Debby Fuller schlug den Blick nieder. »Es ist meine Schuld«, sagte sie. »Ich hätte bei ihr bleiben müssen.«
»Im Nachhinein ist man immer klüger.« Lassiter trat an das Bett und befühlte das Laken.
Von menschlicher Wärme war nichts mehr zu spüren. Marjorie musste schon eine ganze Weile fort sein.
»Wir müssen sie suchen«, sagte Debby. »Die Frage ist, wo?«
»Irgendwer muss sie gesehen haben.« Lassiter beugte sich aus dem Fenster.
Auf der Straße herrschte munteres Treiben. Kutschen rollten vor dem Hotel entlang. Eine Menge Fußgänger waren unterwegs. Es musste doch jemandem aufgefallen sein, dass am helllichten Tage eine Frau aus dem Fenster geklettert war.
»Du knöpfst dir das Personal vor«, sagte Lassiter. »Wäre doch gelacht, wenn wir keine Spur von unserem Nesthäkchen finden. Ich gehe runter und quetsche die Leute auf der Straße aus. Wir treffen uns in einer Viertelstunde im Foyer.«
»Alles klar.« Debby huschte auf den Gang.
Lassiter untersuchte sein Zimmer, wobei er feststellte, dass die Flüchtige all ihre Habseligkeiten zurückgelassen hatte. Ihre Schuhe, ihre Jacke, ihren Hut, alles war noch da. Sie hatte nichts weiter bei sich als die Kleidung, die sie am Leib trug. Ein untrügliches Zeichen, dass sie noch nicht voll bei Verstand war.
In trübe Gedanken versunken, ging Lassiter mit Debby aus dem Zimmer. Unten, an der Rezeption, unterzog sie sogleich den Portier einem Verhör.
Er trat ins Freie – und lief seinem Verbindungsmann Ken Matthews in die Arme.
»Ein Glück, dass ich dich treffe«, entfuhr es Matthews erleichtert. »Komm’, lass uns um die Ecke gehen, damit uns keiner zuhört.«
»Was ist los?«
Matthews zog ihn unter das Dach einer Veranda. »Hast du schon was herausbekommen?«, fragte er.
»Ich bin am Drücker«, wich Lassiter aus. »Es gibt da einige hochinteressante Anhaltspunkte, die ich noch auf den Wahrheitsgehalt überprüfen muss. Sobald ich mehr weiß, bist du der Erste, der etwas
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