Das Testament eines Excentrischen
Fahrt fand die »Chicola« stets eine Einbuchtung, worin sie für einige Stunden Zuflucht suchen konnte. Freilich ging damit etwas Zeit verloren, und Hodge Urrican hatte, wie wir wissen, nicht viel übrig.
Der Wind hielt den ganzen Tag und die Nacht über an, zeigte aber Neigung abzuflauen. Lief er nach der entgegengesetzten Richtung über, so hätte das die Fahrt in wünschenswerther Weise begünstigt. Leider legte er sich am nächsten Tage fast ganz, und die »Chicola« kam, obwohl sie ihr volles Segelwerk trug, kaum um zwanzig Meilen nach Südosten weiter. Es mußten sogar die Ruder mithelfen, um nicht hinaus nach dem offenen Meerbusen getrieben zu werden. In den nächsten achtundvierzig Stunden kam das Fahrzeug kaum von der Stelle. Der Commodore verzehrte sich vor Ungeduld, ließ aber gegen niemand, nicht einmal gegen Turk, ein Wort darüber fallen.
Von der Strömung im Golfe fortgetragen, befand sich die »Chicola« am 22. doch wenigstens in der Höhe von Tampa, einem Hafenplatze mit fünf-bis sechstausend Einwohnern, von dem aus Schiffe mit begrenztem Tonnengehalt in ziemlicher Sicherheit längs der Küste hinsegeln können, obwohl das Fahrwasser von Rissen und Schlammgründen unterbrochen ist. Die Goelette war von diesem aber gegen fünfzig Meilen entfernt und hätte nicht ohne großen Zeitverlust dahin steuern können, um längs der Küste Floridas bis zu dessen Südspitze hinunterzusegeln.
Ueberdies war nach der Windstille des vorigen Tages dem Aussehen des Himmels nach ein bevorstehender Umschlag im Zustande der Atmosphäre zu erwarten.
Der Commodore Urrican und Turk täuschten sich darüber ebensowenig, wie die Matrosen der Goelette.
»Wahrscheinlich kommt bald ein Umschlag des Wetters, begann an diesem Morgen der Commodore Urrican.
– Nun, uns könnte es ja nur von Nutzen sein, wenn der Wind nach Westen umliefe, antwortete Turk.
– Ja, das Meer, fühlt etwas’, bestätigte der Schiffer Huelcar. Sehen Sie dort die langen schweren Wellen und die Dünung, die da draußen läuft.«
Nachdem er dann den Horizont aufmerksam betrachtet hatte, setzte er, den Kopf schüttelnd, hinzu:
»Ich hab’ es nicht gern, daß es von dieser Seite her weht…
– Uns ist’s aber grade recht, bemerkte Turk, und wenn wir auch ein Hundewetter bekommen… wenn’s uns nur dahin jagt, wohin wir wollen!«
Hodge Urrican schwieg, offenbar beunruhigt durch die Vorzeichen, die zwischen Westen und Südwesten immer deutlicher hervortreten. So vortheilhaft es ist, eine steife Brise zu bekommen, muß man dazu doch in der Lage sein, das Meer halten zu können – mit diesem Fahrzeug von einigen vierzig Tonnen aber, das auch nur ein halbes Deck hatte… Nein, niemand konnte wissen, was jetzt in der unruhigen Seele des Commodore vorging, und wenn draußen auf dem offenen Meere schlechtes Wetter herrschte, so herrschte gewiß auch schlechtes Wetter im Innern Hodge Urrican’s.
Am Nachmittage meldete sich der völlig nach Westen umgeschlagene Wind schon durch einzelne heftige Stöße, denen kurze Windstillen folgten. Die oberen Segel mußten gereest werden, und auf dem arg bewegten Wasser tanzte die Goelette wie eine Feder auf und ab.
Noch schlimmer wurde es in der Nacht, so daß man die Segelfläche weiter verkleinern mußte.
Jetzt wurde die »Chicola« mehr als wünschenswerth nach der Küste von Florida getrieben. Da es an Zeit gebrach, hier Schutz zu suchen, mußte der Curs nach Südosten auf die Spitze der Halbinsel zu um jeden Preis beibehalten werden.
Der Schiffer erwies sich als erprobter Seemann, und Turk sicherte, die Hand am Ruder, soviel wie möglich das Abtreiben der Goelette durch die seitlich heranrollenden Wogen.
Der Commodore half der Mannschaft, das Mars-und das Großsegel mehrmals zu reesen, und man ließ nur ein Klüversegel unverändert stehen. Trotzdem blieb es sehr schwierig, gegen Wind und Strömung, die nach dem Lande zu standen, einigermaßen aufzukommen.
Und in der That, am Morgen des 23. wurde die Küste, so niedrig sie auch war, durch die am Horizonte wogenden Dunstmassen sichtbar.
Huelcar und seine Leute erkannten sie nicht ohne eine gewisse Unruhe.
»Das ist die Bai von Whitewater,« sagten sie…
Diese tief ins Land einschneidende Bai ist von der Straße von Florida nur durch eine Landzunge getrennt, die ganz draußen auf dem Cap Sable das Fort Poinsett trägt.
Noch zehn Meilen in gleicher Richtung und die Goelette mußte daneben liegen.
»Ich fürchte, wir werden gezwungen sein, in der
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