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Das Testament

Das Testament

Titel: Das Testament Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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sagte er laut und klopfte ihm auf die Schulter. Jevy sprang auf. Der Arzt sprach kein Englisch.
    Er wollte, dass Nate in sein Zimmer zurückkehrte, doch als Jevy das übersetzte, kam es nicht gut an. Nate argumentierte mit Jevy, und Jevy flehte den Arzt an.
    Er hatte die anderen Patienten gesehen, die offenen Wunden, die Sterbenden im Gang, die Anfälle miterlebt, und er versprach dem Arzt, er werde bei seinem Freund im Schatten sitzen bleiben, bis es dunkel wurde. Der Arzt gab nach. Es war ihm nicht besonders wichtig.
    Auf der anderen Seite des Hofes lag eine kleine, abgetrennte Station, deren Fenster mit dicken schwarzen Eisenstangen vergittert waren. Von Zeit zu Zeit kamen Patienten und starrten durch die Stäbe in den Hof. Sie konnten nicht hinaus. Am späten Vormittag steckte ein Mann mit braungefleckter Haut und rotem Zottelhaar, der so verrückt aussah, wie er war, das Gesicht zwischen zwei Stäben durch und begann, durchdringend zu schreien. Offenbar sagte ihm Nates und Jevys Anwesenheit nicht zu. Seine kreischende Stimme brach sich im Hof und hallte durch die Gänge.
    »Was sagt er?« fragte Nate. Das Brüllen des Verrückten hatte ihn aufgerüttelt und ihm geholfen, einen klaren Kopf zu bekommen.
    »Ich verstehe kein Wort. Er ist verrückt.«
    »Heißt das, ich bin hier in ein und demselben Krankenhaus mit Verrückten?«
    »Ja. Tut mir leid. Es ist eine kleine Stadt.«
    Das Gebrüll wurde stärker. Eine Schwester erschien und rief ihm zu, er solle den Mund halten. Er fiel mit Ausdrücken über sie her, die sie zur Flucht veranlassten. Dann konzentrierte er sich erneut auf Nate und Jevy. Er umkrallte die Stangen, bis seine Fingerknöchel weiß waren, und sprang auf und ab, während er schrie.
    »Armer Kerl«, sagte Nate.
    Aus dem Schreien wurde ein Jammern, und nach einigen Minuten ununterbrochenen Lärms tauchte hinter dem Mann ein Pfleger auf und versuchte ihn fortzuführen. Er wollte aber nicht gehen, und eine kurze Rangelei folgte. Im Angesicht von Zeugen verhielt sich der Pfleger bei aller Entschlossenheit zurückhaltend, und daher gelang es ihm nicht, die Hände des Mannes von den Stangen zu lösen. Während er von hinten zog, wurde aus dem Jammern ein Kreischen.
    Schließlich gab der Pfleger auf und verschwand. Der Brüllende ließ die Hose herunter und urinierte in hohem Bogen durch die Stangen, wobei er laut lachend auf Nate und Jevy zielte, die aber außer Reichweite waren. Jetzt, da der Mann die Hände nicht mehr um die Stangen gekrallt hielt, packte der Pfleger mit einem Mal von hinten zu, umschlang ihn und zerrte ihn fort. Sobald der Mann außer Sicht war, hörte das Gekreisch schlagartig auf.
    Als dies alltägliche Schauspiel vorüber war und erneut Stille im Hof herrschte, sagte Nate: »Jevy, holen Sie mich hier raus.«
    »Wie stellen Sie sich das vor?«
    »Ich will hier raus. Mir geht es gut. Ich habe kein Fieber mehr und fühle mich auch schon wieder recht kräftig. Lassen Sie uns gehen.«
    »Wir können hier nicht weg, bevor der Arzt Sie entlassen hat. Außerdem haben Sie das da«, sagte er und wies auf den Infusionsschlauch in Nates linkem Handgelenk.
    »Kleinigkeit«, sagte Nate, zog die Nadel rasch heraus und löste den Schlauch.
    »Besorgen Sie mir was anzuziehen, Jevy. Ich verschwinde hier.«
    »Sie kennen das Denguefieber nicht. Mein Vater hatte es.«
    »Es ist vorbei. Das spüre ich.«
    »Das ist es nicht. Es kommt wieder, und zwar schlimmer, viel schlimmer.«
    »Das glaube ich nicht. Bitte bringen Sie mich in ein Hotel. Da geht es mir bestimmt gut. Ich bezahle Sie dafür, dass Sie bei mir bleiben, und sobald das Fieber zurückkommt, können Sie mir Tabletten geben. Bitte, Jevy.«
    Jevy stand am Fuß des Bettes. Er sah sich um, als fürchte er, dass jemand Englisch verstand. »Ich weiß nicht«, sagte er zögernd. Eigentlich war es keine schlechte Idee.
    »Ich gebe Ihnen zweihundert Dollar. Damit können Sie mir was anzuziehen besorgen und mich ins Hotel bringen. Außerdem zahle ich Ihnen fünfzig Dollar am Tag, um auf mich aufzupassen, bis ich wieder ganz auf dem Damm bin.«
    »Es geht nicht um das Geld, Nate. Ich bin Ihr Freund.«
    »Und ich Ihrer, Jevy. Freunde müssen sich gegenseitig helfen. Ich kann nicht wieder in das Zimmer zurück. Sie haben die armen Kranken da drin ja gesehen. Die verfaulen, liegen im Sterben und pissen sich voll. Es stinkt nach Scheiße. Die Schwestern kümmern sich einen Dreck. Die Ärzte sehen nicht nach einem. Die Irrenanstalt ist gleich nebenan.

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