Das Testament
gefunden, doch von Troy noch überrascht zu werden war schwierig.
»Wer bekommt die Verfügungsgewalt über die Firmengruppe?« fragte Solomon.
»Das kann ich jetzt noch nicht sagen«, erwiderte Stafford. Ihm war klar, wie unbefriedigend die Antwort war und dass sie wie eine Ausflucht wirkte. »Troy hat, wenige Augenblicke bevor er gesprungen ist, ein Testament unterschrieben und mich angewiesen, dessen Inhalt eine gewisse Zeit für mich zu behalten. Ich darf mich unter keinen Umständen darüber äußern, jedenfalls nicht im Moment.«
»Wann?«
»Bald, aber nicht jetzt.«
»Heißt das, es bleibt alles beim alten?«
»So ist es. Die Zusammensetzung des Vorstands ändert sich nicht; jeder behält seinen Arbeitsplatz. Im Unternehmen geht alles seinen gewohnten Gang.«
Das klang zwar gut, aber niemand glaubte es. Ein Eigentümerwechsel stand bevor.
Troy hatte nie viel von Mitbestimmung gehalten. Er zahlte seinen Leuten ordentliche Gehälter, war aber nicht bereit gewesen, wie viele andere Unternehmen Belegschaftsaktien auszugeben. Etwa drei Prozent der Aktien befanden sich in den Händen einiger seiner bevorzugten Mitarbeiter.
Sie stritten sich eine Stunde lang über den Wortlaut einer Presseerklärung, dann vertagten sie sich auf den nächsten Monat.
Stafford traf Tip Durban im Foyer, und sie fuhren gemeinsam zum Gerichtsmediziner in McLean. Die Autopsie war beendet.
Die Todesursache war offenkundig. Es gab keinerlei Hinweise auf Alkohol oder irgendwelche Drogen.
Und es gab keinen Tumor. Keine Spur von Krebs. Troy war zum Zeitpunkt seines Todes in guter körperlicher Verfassung gewesen, nur ein wenig unterernährt.
Während sie auf der Roosevelt-Brücke den Potomac überquerten, brach Tip das Schweigen. »Hat er Ihnen gesagt, dass er einen Gehirntumor hatte?«
»Ja. Mehrfach.« Stafford fuhr, ohne groß auf Brücken, Straßen oder den Verkehr zu achten. Welche Überraschungen hielt Troy noch für sie bereit?
»Warum hat er gelogen?«
»Wer weiß? Sie versuchen das Denken eines Mannes zu analysieren, der vor kurzem von einem Hochhaus heruntergesprungen ist. Der Gehirntumor hat alles schrecklich dringend gemacht. Jeder, auch ich, war überzeugt, dass sein Tod unmittelbar bevorstand. Sein Zustand ließ es als großartigen Einfall erscheinen, die Psychiater hinzuzuziehen. Er hat die Falle gestellt, seine Verwandten sind hineingerannt, und jetzt schwören ihre eigenen Psychiater Stein und Bein, dass Troy bei völlig klarem Verstand war. Außerdem wollte er Mitgefühl.«
»Aber er war doch verrückt, oder nicht? Schließlich ist er gesprungen.«
»Troy war in vieler Hinsicht komisch, aber er hat genau gewusst, was er tat.«
»Und warum ist er dann gesprungen?«
»Weil er depressiv war. Ein sehr einsamer alter Mann.«
Während sie im dichten Verkehr auf der Constitution Avenue festsaßen und auf die Rücklichter vor ihnen starrten, versuchten sie den Fall zu durchdenken.
»Das riecht nach Betrug«, sagte Durban. »Er lockt sie mit der Aussicht auf Geld; er stellt ihre Psychiater zufrieden und unterschreibt dann in letzter Sekunde ein Testament, das ihnen so gut wie nichts hinterlässt.«
»Stimmt, das ist betrügerisch. Aber hier geht es um ein Testament und nicht um einen Vertrag. Ein Testament ist ein Geschenk. Niemand ist nach den Gesetzen des Staates Virginia verpflichtet, seinen Kindern auch nur einen roten Heller zu hinterlassen.«
»Aber sie werden das Testament anfechten, oder nicht?«
»Wahrscheinlich. Sie haben einen ganzen Haufen Anwälte. Es geht um zuviel Geld.«
»Warum hat er sie nur so sehr gehasst?«
»In seinen Augen waren sie Blutsauger. Sie haben ihn belästigt. Sie haben mit ihm gestritten. Sie haben in ihrem Leben keinen Cent auf ehrliche Weise verdient und so manche seiner Millionen zum Fenster rausgeworfen. Troy hatte nie die Absicht, ihnen etwas zu hinterlassen. Wer Millionen verschwenden konnte, nahm er an, würde auch mit Milliarden keine Probleme haben. Und damit hatte er recht.«
»Wie viel Schuld hatte er an den Streitigkeiten in der Familie?«
»’ne ganze Menge. Troy zu lieben war nicht einfach. Er hat mir mal gesagt, er sei ein schlechter Vater und ein katastrophaler Ehemann gewesen. Er konnte seine Finger nicht von den Frauen lassen, zumal wenn sie für ihn arbeiteten. Er war überzeugt, sie gehörten ihm.«
»Ich erinnere mich an einige Fälle, in denen man ihm sexuelle Belästigung vorgeworfen hat.«
»Die haben wir stillschweigend aus der Welt geschafft. Das
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