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Das Tier

Das Tier

Titel: Das Tier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Gernt , Sandra Busch
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Bände. Aber sie ließen ihn lieber ziehen, als sich womöglich Ärger einzuhandeln, wenn die Ware nicht unbeschädigt in der Grünen Villa abgeliefert wurde. Brudfor sei dank, keiner der Wächter erkannte ihn als denjenigen, der er war.
    Mittlerweile wurde Cyrian auch von Passanten böse angestarrt und mehr als ein Knecht befragte ihn nach seinem Woher und Wohin. Ihm schlotterten durchaus die Knie; was er hier tat, war Wahnsinn. Der Doktor könnte ihn mit einem Wort in den Kerker bringen, wo sich ganz gewiss alle Wächter an ihn erinnerten …
    Für Thars. Ich lasse ihn nicht im Stich, sagte er sich regelmäßig.
    Bei der Grünen Villa angekommen – sie trug ihren Namen nicht aufgrund der Fassadenfarbe, die langweilig weiß war, sondern weil sie von einem besonders üppigen Garten umgeben wurde – verließ ihn für einen Moment der Mut. Wie sollte er an den Doktor herantreten? Würden dessen Bedienstete überhaupt erlauben, dass ein niederes Subjekt wie er mit dem hohen Herrn sprach?
    Dummerchen, deine Nase! Nutze alles zu deinem Vorteil, so, wie Meister Flinkfinger es immer sagte!
    Brudfor, wenn das hier klappt, kannst du dich auf eine dicke Spende von mir freuen!
    Cyrian zuckte unter seinem eigenen Gedanken zusammen – wollte er wahrhaftig seine hart und mühselig verdienten Münzen in den Klingelbeutel eines Priesters werfen?
    Ja, verdammt! Aber dann muss das wirklich glatt laufen, hörst du, Brudfor?
    Es tat gut, mit Gott zu feilschen. Man fühlte sich gleich viel weniger hilflos dem Schicksal ausgeliefert. Noch einmal rasch die Schultern kreisen lassen, den Nacken durchbewegen, dann trat Cyrian an das hohe Tor und zog die Glockenkette.
    Eine halbe Minute verging. Und noch eine. Schließlich öffnete sich die reich verzierte Haustür und ein Diener in grüner Uniform trat mit würdevollen Schritten zu ihm heran. Falls er sich von Cyrians abgerissener Erscheinung abgestoßen fühlte, ließ er es sich nicht anmerken.
    „Sie wünschen?“, fragte er höflich.
    „Ich wünsche mit Doktor Lerome zu sprechen.“
    „Bedaure, der Doktor behandelt nur in schwerwiegenden Fällen Patienten, die sich seine Dienste nicht leisten können.“ Der Diener wollte sich abwenden. Nun galt es!
    „Ich wurde auf der Straße von einem Knecht des Doktors verletzt, völlig ohne Grund!“ Anklagend wies Cyrian auf sein zerschlagenes Gesicht. „Ich hab das Wappen auf der Kutsche genau erkannt: schwarzer Heilstab, gekreuzt von schwarzer Feder, auf grünem Grund. Mein Lehrherr hat mir diese Erdbeeren als Zahlungsmittel gegeben, umsonst soll der Doktor nicht arbeiten. Aber wenn sein Personal Schuld trägt, dann kann er wenigstens dafür sorgen, dass meine Nase gerade bleibt.“
    Hoffentlich hatte er es nicht übertrieben … Ungehobelt wollte er klingen, nicht aufmüpfig. Der Diener blickte mit hochgezogenen Augenbrauen von Cyrians Gesicht zu den Erdbeeren und wieder zurück, mit einem Ausdruck leicht verärgerter Ratlosigkeit. Das sah gut aus!
    „Bitte warten Sie hier, ahm – junger Herr, ich werde den Doktor in dieser Sache befragen.“
    Keine zwei Minuten später wurde das Tor geöffnet. Der Diener führte ihn zwar nicht zur Haustür, sondern um die Villa herum zu einem Seiteneingang, aber das war Cyrian gleichgültig.
    In der geräumigen Küche wurden seine schmutzigen Füße von der Köchin finster gemustert.
    „Keinen Schritt weiter!“, sagte sie so drohend, dass selbst der Diener leicht zusammenzuckte.
    „Bantiez, hol dem Jungen Filzpantoffeln, sonst verdreckt er den weißen Marmor in der Halle!“
    Wortlos eilte der Diener davon und ließ Cyrian mit dieser weiblichen Urgewalt allein zurück. Die Köchin hatte äußerlich keine Ähnlichkeit mit Cyrians Mutter, die ein hageres, verbittertes und vor allem versoffenes Geschöpf gewesen war – Brudfor habe sie selig. Doch der missbilligende Ausdruck in dem runden Gesicht und die in die ausladenden Hüften gestemmten Hände wirkten vertraut und weckten Erinnerungen an Schläge mit Rohrstöcken, Kochlöffeln, Schürhaken …
    „Die Erdbeeren sind Bezahlung für den Doktor“, murmelte Cyrian und hielt die Kiste hoch.
    Misstrauisch nahm die Köchin die Gabe an, betrachtete die Erdbeeren einzeln, grummelte über die Größe und Farbe und stellte sie schließlich achtlos beiseite. Jetzt wünschte Cyrian, er hätte unterwegs doch seinem Verlangen nachgegeben und ein oder zwei der köstlich duftenden Früchte genascht. Noch nie hatte er Erdbeeren kosten dürfen! Seine letzte

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