Das Tier
Gesellschaft entdeckt hat“, gab Doktor Lerome zu bedenken.
„Thars! Thars!“, brüllte Cyrian panisch. Thars durfte nicht fort sein. Er brauchte Cyrian doch. Wer sonst sollte ihm Krebse fangen und mit Kleidung versorgen? Wer konnte Thars schon helfen, unentdeckt zu bleiben? Zu überleben?
„THARS!“
Einzig Doktor Lerome, der seine schwarze Tasche auf einen Felsen abgestellt hatte, zuckte bei dem Schrei erschrocken zusammen.
„Ich bin es. Cyrian. Ich habe Hilfe für dich dabei. Du musst nicht sterben. Hörst du? Thars, bitte!“
Keine Antwort.
Cyrian wandte sich an den Arzt: „Vielleicht wollte er sich verstecken und ist ohnmächtig geworden. Wir müssen ihn suchen.“
Der Doktor hörte ihm gar nicht zu, sondern schaute an ihm vorbei. „Ist das dort dein Freund?“
Cyrian wirbelte herum. Hinter einigen Felsen schob sich eine massige Gestalt hervor. Beinahe hätte er bei ihrem Anblick gelacht, denn sie steckte in viel zu engen Kleidungsstücken. Die Klamotten des Seebären waren ihm selbst zu weit, für Thars hingegen waren sie um einiges zu klein. Nur die grünen Stiefel schienen in etwa zu passen. Das Lachen blieb ihm allerdings im Halse stecken, denn deutlich zeichnete sich ein Blutfleck auf Thars’ Hosenbein ab. Die Wunde musste wieder bluten. Misstrauisch musterte das Tier seinen Begleiter.
„Das ist Doktor Lerome. Du brauchst doch einen Arzt? Einen fähigen Arzt?“ Cyrian rannte erleichtert auf Thars zu und fiel ihm um den Hals. Starke Arme erwiderten seine Umarmung, aber der Blick des Tiers blieb wachsam auf den Doktor gerichtet. Ein wenig verlegen ließ Cyrian seinen Gefährten los.
„Ich habe den Doktor geholt, damit du nicht sterben musst, Thars. Er kann dir helfen.“
„Ach, Engel. Süßer Engel …“ Eine riesige Hand fuhr ihm sanft über die Locken.
„Wenn Sie sich setzen wollen, dann kann ich mir die Verletzung gerne einmal ansehen“, rief Doktor Lerome zu ihnen herüber. „Cyrian hat mir berichtet, dass Sie angeschossen worden sind.“
„Der ist okay“, flüsterte Cyrian dem Tier zu. Thars verhielt sich wachsam, beinahe scheu. Er hatte die Nase in die Höhe gereckt und … Cyrian runzelte die Stirn. Schnüffelte sein Gefährte im Wind? Nach einer kleinen Weile setzte sich Thars zögernd und stark humpelnd in Bewegung. Auf einem flachen, algenüberzogenen Felsen nahm er umständlich Platz und streckte sein verletztes Bein aus.
„Sie sind ein guter Mann“, sagte er leise. „Sie haben Cyrian immer freundlich behandelt und oft eine Münze mehr zugesteckt, als er von Ihnen gefordert hat. Sie haben Obdachlose und arme Leute in Ihrem Haus aufgenommen und ihnen Arbeit verschafft. Und Sie haben eine Frau geheiratet, die furchtbare Angst vor der Ehe und dem Beischlaf hat und sich mit ihr arrangiert. Mittlerweile sind Sie gute Freunde geworden und lieben sich auf eine platonische Weise.“
Doktor Lerome zog ein fassungsloses Gesicht. „Woher wissen Sie das alles?“
„Ich kann es riechen“, murmelte das Tier. „Es haftet Ihnen an.“
„Können Sie jetzt nach seinem Bein sehen?“, fragte Cyrian ungeduldig. Der Doktor nickte, öffnete seine Tasche und zog eine Schere heraus.
„Ich werde Ihnen das Hosenbein aufschneiden.“
Thars schloss die Augen. Seine Hand suchte nach Cyrian, der sie zaghaft ergriff.
„Engel“, flüsterte das Tier.
„Ich bin hier, Thars. Genau neben dir.“ Cyrian kauerte sich an Thars‘ linke Seite und lehnte sich gegen dessen unversehrtes Bein. Er war müde. Blinzelnd beobachtete er, wie Doktor Lerome den Hosenstoff beiseite schob und die Verletzung freilegte. Waren die Wundränder heute Morgen auch schon so feuerrot gewesen?
„Die Kugel steckt im Knochen fest“, sagte das Tier.
„Können Sie das ebenfalls … riechen?“
„Nein, aber fühlen.“
Doktor Lerome holte eine Mullbinde hervor und begann die Wunde zu verbinden.
„Hier kann ich Ihnen nicht helfen. Ich werde Sie zu mir bringen und dort operieren.“
Cyrian erhob sich und ließ Thars’ Hand los. „Sie haben mir versprochen, ihn zu behandeln.“
„Das Versprechen halte ich.“ Doktor Lerome sah dabei das Tier an. Thars nickte bedächtig zu diesen Worten.
„Und hinterher?“, fragte Cyrian anklagend. „Rufen Sie dann die Garde? Schicken Sie Thars anschließend in den Kerker zurück?“
„Engel …“
„Ich will es wissen!“, rief Cyrian wild. „Ich habe Sie nicht hierher geführt, damit Thars wieder eingesperrt wird. Er ist nicht böse.“ Er stutzte und wandte
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