Das Titanic-Attentat
Eiswarnung. Denn der Funker der
Californian
probierte es nicht etwa noch einmal, seine lebenswichtige Warnung an den Mann zu bringen, sondern begab sich zur Ruhe – weshalb er übrigens auch die späteren Hilferufe der
Titanic
nicht hören konnte.
Auch diese Geschichte wird regelmäßig wie selbstverständlich nacherzählt, ohne sie zu hinterfragen, als handle es sich um das Normalste der Welt, eine lebenswichtige Eiswarnung zu ignorieren.
Das seltsame Universum der
Titanic
»Es ist Wahnsinn, wieso sollte er das tun?«, fragt unser Unfallermittler jedoch ganz richtig: Warum sollte der
Titanic
-Funker Phillips eine solche Eiswarnung ignorieren? Penoyer nimmt Kontakt zu einem »Funkhistoriker« namens Parks Stephenson auf, der ihm sein Erstaunen umgehend wieder ausredet – und natürlich auch dem Publikum. Denn Stephenson erklärt ihm, dass die Signale der nahe gelegenen
Californian
so laut waren, dass Phillips’ Trommelfell hätte platzen können.
Zwar werfe der Vorfall dennoch ein schlechtes Licht auf Phillips, weil er die Eiswarnung nicht an die Brücke weitergegeben habe, heißt es dazu ganz richtig. Aber schuld daran ist nicht der Funker der
Titanic,
sondern der Kollege von der
Californian
, denn der habe vergessen, dem Funkspruch die Buchstabenfolge » MSG « (»Master Service Gram«) voranzustellen – den Code für Nachrichten an die Brücke. Deshalb konnte Phillips den Funkspruch »also ignorieren«.
Nur weil die lebenswichtige Eiswarnung also angeblich nicht ordnungsgemäß an die Brücke adressiert gewesen sein soll, soll Phillips nicht auf die Idee gekommen sein, das Papier, das auch sein Leben hätte retten können, an die Schiffsführung weiterzugeben. Denn ob mit oder ohne den geheimnisvollen Code » MSG «: Eine Eiswarnung war eine Eiswarnung, und der einzige Ort, wo diese sofort hingehörte, war natürlich die Brücke und nicht die Küche oder der Maschinenraum.
Das Schiff ist an allem schuld
Schuld ist auch daran freilich niemand: »Brian Penoyer kann weder Smith, Phillips, noch Evans [den Funker der
Californian
] … für das Desaster verantwortlich machen«. Juhuu! Niemand ist an dem Unglück der
Titanic
schuld! Und weil dem Film ganz viel an dieser Feststellung liegt, macht er sich nun flugs auf die Suche nach einem unpersönlichen Gegenstand, dem man die Schuld an dem Desaster anhängen könnte. Und dieser Gegenstand ist natürlich das Schiff.
Zunächst, so heißt es da, sei man davon ausgegangen, dass auf der Steuerbordseite ein 90 Meter langer, riesiger Riss aufgetreten sei, der fünf Abteilungen des Schiffes betroffen habe, also eine Abteilung mehr, als das Schiff hätte verkraften können. Und weil der Riss eben so riesig war, strömte die See wie ein großer Wasserfall ins Schiff, und aus war’s mit der
Titanic
. Das ist schließlich auch das Klischee, das jedermann über den Untergang der
Titanic
im Kopf hat.
Doch ab 1985, als das Wrack entdeckt wurde, brach diese bequeme Erklärung in sich zusammen. Denn die Außenseite der
Titanic
zeigte kaum Schäden. Erst unter dem Schlamm sollen mit Hilfe eines Sonars winzig kleine Löcher oder Risse im Rumpf festgestellt worden sein: »Deshalb scheint es eher so, dass das Schiff nur leicht beschädigt war«, heißt es in der Dokumentation.
Ein Experiment und Milchmädchenrechnungen
Eine dumme Sache – die schöne, alte Wasserfallgeschichte war damit kaputt. Selbst der Stahl der
Titanic
, der 1998 am National Institute for Standards and Technology ( NIST , eine Art US - TÜV ) ausführlich untersucht worden war, »hatte für damalige Verhältnisse eine gute Qualität und war nicht ungewöhnlich brüchig, auch nicht bei niedrigen Temperaturen.« Ja, was machen wir denn da:
Die Besatzung der
Titanic
– ohne ihr Zutun mit Blindheit geschlagen.
Der Kapitän – unschuldig wie ein neugeborenes Lamm.
Der Stahl – von guter Qualität.
Wohin jetzt bloß mit der Schuld an dem
Titanic
-Unglück? Und siehe da: Penoyer findet eine Lösung. Die Nahtstellen zwischen den Stahlplatten der
Titanic
waren es! Wofür gibt es schließlich Experimente. Flugs wird ein Teil der Schiffshaut (angeblich) nach der Originalkonstruktion der
Titanic
nachgebaut und ein astronomisch hoher Druck genannt, den die Vernietung laut NIST angeblich hätte aushalten müssen, nämlich 965 bar. Anschließend werden zwei durch Stahlnieten verbundene Stahlplatten in eine Presse gespannt, um zu sehen, bei welchem Druck die Nieten versagen. Gespannt starrt unser
Weitere Kostenlose Bücher