Das Todeshaus
Forscherin.«
»Du hast gekündigt?«
»Nicht wirklich. Ich war nur fertig.«
»Rhine … Machen die nicht irgendwas mit übersinnlicher Wahrnehmung, Geistern und solchem merkwürdigen Kram? So wie bei Akte X?«
»Ja, bis auf dass die Wahrheit nicht irgendwo da draußen ist. Sie ist hier drinnen.« Sie tippte sich an die Schläfe. »Die Kraft der Gedanken. Und wir haben nichts mit Außerirdischen am Hut. Ich war Forscherin für paranormale Aktivitäten. Doch dann wurde ich zum Dinosaurier, fast schon ausgestorben, bevor ich überhaupt angefangen habe.«
»Du bist zu jung, um ein Dinosaurier zu sein.«
»Alles ist heutzutage elektronisch. Detektoren für elektromagnetische Felder, Ultraschallrekorder, Infrarotkameras. Wenn du es nicht auf einem Computer darstellen kannst, glaubt niemand, dass es wirklich existiert. Aber ich glaube an das, was ich mit meinem Herzen sehe.«
Cris sah sich im Zimmer um, als ob sie die dunklen Ecken und die Schatten, die das flackernde Feuer warf, erst jetzt richtig zur Kenntnis nahm. »Du bist aber nicht hier, um—«
»Keine Angst. Ich bin aus persönlichen Gründen hier.«
»Aha. Ich habe gesehen, wie du draußen auf der Veranda mit dem muskulösen Schnuckelchen mit der Leinentasche gesprochen hast.«
»Nicht diese Art von persönlichen Gründen. Außerdem ist er überhaupt nicht mein Typ.«
»Warte mal ein paar Tage ab. Es sind schon viel seltsamere Dinge passiert.«
»Und du bist bestimmt hier, um dich voll und ganz in deine Kunst zu stürzen?« Anna zeigte auf die Skizzenblöcke. »Ich mag dich. Darum werde ich dich mit meinem Vortrag über künstlerisches Temperament verschonen.«
»Ach, ich glaube, mein Mann vögelt zurzeit seine Sekretärin und dass sie mich aus dem Haus haben wollten, damit sie sich im Whirlpool vergnügen können. Er hat mich den Sommer über nach Griechenland geschickt. Letztes Frühjahr nach New Mexico, damit ich auf den Spuren von Georgia O’Keeffe wandeln konnte. Jetzt sind die Berge von North Carolina dran.«
»Zumindest ist er großzügig.«
»Ich werde niemals eine richtige Künstlerin sein. Aber wenigstens habe ich auf Künstlerklausuren noch etwas anderes zu tun, als die ganze Zeit Männern hinterherzujagen und mich zu betrinken, obwohl mir meine Muse diesen kleinen Luxus natürlich trotzdem erlaubt. Wo wir gerade beim Thema sind: In der Nähe des Studierzimmers habe ich eine Bar gesehen. Wollen wir dort vor dem Abendessen mal vorbei schauen?«
»Nein, danke. Ich glaube, ich ruhe mich erstmal ein bisschen aus.«
»Na gut. Hauptsache, du ziehst dir kein Bettlaken über den Kopf und läufst damit herum. Ich könnte dich sonst mit einem Geist verwechseln.«
»Ich verspreche dir, wenn ich sterbe, gehörst du zu den ersten, die davon erfahren.«
Anna legte sich zurück in die Kissen. Eine Feder stach ihr in den Nacken. Die Tür schloss sich und Cris’ Schritte verhallten langsam auf dem Korridor. Verwelkte Blätter schlugen gegen das Fenster. Die vom Rauch gealterten Wände verströmten einen tröstenden Geruch. Im sanften Schein der Öllampe wirkte das Zimmer noch behaglicher. Sie fühlte sich entspannt und zufrieden, das erste Mal seit—
Nein, daran wollte sie jetzt nicht denken.
Der Schmerz war zurück. Ein unhöflicher Hausgast. Sie versuchte den Trick mit den Zahlen, doch ihre Konzentration wurde immer wieder von Erinnerungen unterbrochen, wie so häufig in letzter Zeit. Seit die Träume von Korban Manor angefangen hatten.
Zehn, dünn und rund …
Zwischen der eins und der zehn rutschte ein Bild von Stephen in ihren Kopf. Stephen, mit seinen Kameras und seinen technischen Spielereien, seinem Schnurrbart und seinem Lachen. Für ihn war Anna die Parapsychologinnen-Version eines Pfadfindermädchens. Stephen hatte nicht das Bedürfnis, einen Geist wahrzunehmen. Er konnte beweisen, dass es sie gab, behauptete er zumindest.
Ihre Verabredungen auf dem Friedhof hatten immer damit geendet, dass sie über Wiesen und zwischen Grabsteinen wandelte, während Stephen fleißig und konzentriert an seiner Ausrüstung bastelte. In der Nacht, als sie ihren ersten Geist wahrgenommen hatte, der sanft neben dem Marmorengel auf dem Friedhof von Guilford schimmerte, war Stephen zu beschäftigt damit gewesen, elektromagnetische Felder aufzuzeichnen, um aufschauen zu können, als sie nach ihm rief. Der Geist wartete jedoch nicht, bis er ihm seine Aufmerksamkeit zuteil werden ließ, sondern löste sich auf wie Nebel bei Sonnenaufgang. Doch bevor sich
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