Das Todeshaus
Hausverkleidung ab. Vier Schornsteine qualmten gemächlich vor sich hin. Der Rauch waberte friedlich durch die riesigen Roteichen und Pappeln, die das Haus umgaben.
Hoch oben auf dem Dach befand sich ein Witwensteg, ein abgeflachter Bereich mit einer verwaisten Brüstung. Mason fragte sich, ob je eine Witwe über diese Bretter gegangen war. Wahrscheinlich.
Bei einem alten Haus konnte man sich einer Sache immer gewiss sein: dass hier schon einmal jemand gestorben war, sogar sehr viele Jemande.
Ein Maler oder Fotograf würde vermutlich für die Aussicht, die sich einem vom Witwensteg aus präsentierte, über Leichen gehen. Mason würde sogar eine weit weniger schwerwiegende Straftat begehen, um dieses Privileg genießen zu dürfen. Doch er wusste, dass ihm bei all der freien Luft um ihn herum und der tödlichen Tiefe unter ihm schwindlig werden würde. Immerhin war es ihm vergönnt, die verschachtelte Schneckenverzierung des Herrenhauses aus sicherer Perspektive mit festem Boden unter den Füßen zu betrachten.
»Schaffen Sie die Verandastufen?«, fragte Anna.
Mason runzelte die Stirn. Er war sich nicht sicher, ob sie ihn auf den Arm nehmen wollte. »Ja. Wenn es sein muss, kann ich ja auf allen Vieren gehen. Im Kriechen bin ich sehr gut.«
»Na dann viel Glück!«, entgegnete sie, stürmte die Treppen hinauf und trat durch die imposante Vordertür. Im Inneren des Hauses liefen die anderen der Gruppe umher und kamen langsam zur Ruhe. Er wollte ihr noch ein letztes »Danke« hinterher rufen, doch Anna war schon weg.
Ich wünsch dir auch viel Glück mit deiner Phobie.
2. KAPITEL
»Haben Sie George gesehen?«, fragte Miss Mamie Ransom Streater. Abgesehen von Lilith hasste sie es, sich mit dem Dienstpersonal abgeben zu müssen, doch ab und zu mussten eben Anweisungen erteilt oder Gerüchte entschärft werden. Der beste Weg, Klatsch und Tratsch abzuwenden, war noch immer, ihn selbst in Umlauf zu bringen.
»Nein, gnädige Frau.« Ransom stand neben der Scheune, seinen Hut in den vernarbten Händen. Schweiß klebte in seinem lichten Haar. Er roch nach Stall, Heu, Düngemittel und rostigem Metall. Um seinen Hals hing ein Lederband. Sie wusste, dass daran eines dieser bizarren Zaubersäckchen befestigt war. Diese bäuerlichen Bergmenschen glaubten doch tatsächlich, dass irgendwelche Wurzeln und Pülverchen Einfluss auf die Lebenden und die Toten hätten. Wenn sie nur begreifen würden, dass Zauberei durch die Kraft des Willens und nicht durch Wunschdenken entsteht.
Zauberei wirkte nur durch Taten. Wie das Ding, das sie in ihren Armen wiegte, die Puppe, die sie mit viel Liebe und Zärtlichkeit geschaffen hatte.
»Ich brauche jemanden, der dem Bildhauer morgen beim Holzsammeln hilft«, sagte sie.
»Ja, gnädige Frau.« Der Adamsapfel des Mannes schnellte einmal nach oben und wieder nach unten.
»Wann haben Sie das letzte Mal etwas von George gehört?«
»Heute Nachmittag, direkt nachdem der letzte Schwung Gäste angekommen war. Er meinte, er würde hoch nach Beechy Gap gehen, um nach seinen Sachen zu sehen.«
Miss Mamie unterdrückte ein Lächeln. George war also nach Beechy Gap gegangen. Gut. Zumindest für einige Wochen würde ihn niemand aus der Stadt vermissen, und danach würde es keine Rolle mehr spielen.
Und sie konnte sich darauf verlassen, dass Ransom den Mund halten würde. Ransom wusste, welche Art von Unfällen Menschen rund um Korban Manor zustießen, selbst denen, die Talismane trugen und altertümliche Zaubersprüche vor sich hin murmelten. Und ein Auftrag war ein Auftrag.
Jeder hatte eine Mission im Leben, die ihn antrieb.
Nur einige Missionen waren bedeutsamer als andere.
Sie nahm die kleine Puppe aus dem Stück zusammengefalteten Stoff. Ihr Apfelkopf war zu einem dunklen, runzeligen Gesicht zusammengeschrumpft, der angemalte Mund schmerzverzerrt. Der Körper war aus Esche geschnitzt, die Arme und Beine bestanden aus den Ranken einer Kletterpflanze. Ransom schrak vor der Puppe zurück wie beim Anblick einer Klapperschlange.
»Werden Sie sich für mich um George kümmern?«, fragte Miss Mamie.
»Er war mein Freund. Es ist das Mindeste, was ich tun kann.« Ein Schatten legte sich über sein Gesicht. »Ich muss allerdings bis morgen früh warten. Bei Nacht gehe ich nicht hoch nach Beechy Gap.«
»Dann tun Sie es morgen gleich als Erstes. Ich möchte die Gäste nicht verärgern. Sie wissen, was bevorsteht, nicht wahr?«
»Ein blauer Mond im Oktober«, erwiderte Ransom. Sein Blick
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