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Erebos

Erebos

Titel: Erebos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Poznanski
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1.
    Schon zehn Minuten nach drei und noch keine Spur von Colin. Nick ließ den Basketball auf dem Asphalt aufschlagen, fing ihn einmal mit der rechten, dann mit der linken, dann wieder mit der rechten Hand auf. Ein kurzes, singendes Dröhnen bei jeder Bodenberührung. Er bemühte sich, den Rhythmus zu halten. Noch zwanzig Mal; wenn Colin dann nicht hier war, würde Nick allein zum Training gehen.
    Fünf, sechs. Es sah Colin nicht ähnlich, ohne Erklärung wegzubleiben. Er wusste genau, wie schnell man aus Trainer Betthanys Team flog. Colins Handy war auch nicht an, er hatte garantiert wieder vergessen, den Akku zu laden. Zehn, elf. Aber dass er auch Basketball vergaß, seine Kumpels, sein Team? Achtzehn. Neunzehn. Zwanzig. Kein Colin. Nick seufzte und klemmte sich den Ball unter den Arm. Auch gut, dann würden die meisten Körbe heute endlich mal auf sein eigenes Konto gehen.
    Das Training war hammerhart und Nick nach zwei Stunden schweißgebadet. Mit schmerzenden Beinen humpelte er unter die Dusche, stellte sich in den heißen Wasserstrahl und schloss die Augen. Colin war nicht mehr aufgetaucht und Betthany war wie erwartet ausgeflippt. Seinen Ärger hatte er zur Gänze an Nick ausgelassen, als sei der schuld an Colins Fernbleiben.
    Nick verteilte Shampoo auf seinem Kopf und wusch sein - in Trainer Betthanys Augen - viel zu langes Haar, das er anschließend mit einem ausgeleierten Gummiring zu einem Zopf zusammenband. Er war der Letzte, der die Sporthalle verließ, draußen wurde es bereits dunkel. Während er die Rolltreppe zur U-Bahn hinunterfuhr, holte Nick sein Handy aus der Tasche und drückte die Kurzwahl, unter der er Colins Nummer gespeichert hatte. Nach dem zweiten Läuten sprang die Mailbox an und Nick legte auf, ohne eine Nachricht hinterlassen zu haben.
     
    Mum lag auf der Couch, las eine ihrer Frisuren-Fachzeitschriften und sah gleichzeitig fern.
    »Heute gibt’s nur Hotdogs«, erklärte sie, kaum dass Nick die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Ich bin total erledigt. Kannst du mir ein Aspirin aus der Küche bringen?«
    Nick ließ seine Sporttasche in die Ecke fallen und warf eine Aspirin plus C-Tablette in ein Glas mit Wasser. Hotdogs, toll. Er war am Verhungern.
    »Ist Dad nicht zu Hause?«
    »Nein, der kommt später. Ein Kollege hat Geburtstag.«
    Ohne viel Hoffnung scannte Nick den Kühlschrank auf etwas Erfreulicheres als Würstchen – die Pizzareste von gestern zum Beispiel –, wurde aber nicht fündig.
    »Was sagst du zu der Sache mit Sam Lawrence?«, rief Mum aus dem Wohnzimmer. »Wahnsinn, oder?«
    Sam Lawrence? Der Name kam ihm bekannt vor, aber er konnte kein Gesicht damit verbinden. Wenn er so müde war wie heute, gingen ihm die verschlüsselten Nachrichten seiner Mutter gehörig auf die Nerven. Er servierte ihr den gewünschten Anti-Kopfschmerz-Cocktail und überlegte, ob er nicht auch eine Tablette einwerfen sollte.
    »Wart ihr dabei, als sie ihn geholt haben? Mrs Gillinger hat mir die Geschichte heute erzählt, während ich ihr Strähnchen gefärbt habe. Sie arbeitet in der gleichen Firma wie Sams Mutter.«
    »Hilf mir auf die Sprünge: Sam Lawrence geht auf meine Schule?«
    Mum beäugte ihn missbilligend. »Na sicher! Nur zwei Jahre unter dir. Wurde jetzt vom Unterricht suspendiert. Hast du die ganze Aufregung nicht mitbekommen?«
    Nein, das hatte Nick nicht, aber seine Mutter setzte ihn gern und ausführlich ins Bild.
    »Sie haben Waffen in seinem Spind gefunden! Waffen! Angeblich waren es eine Pistole und zwei Springmesser. Wo hat ein Fünfzehnjähriger eine Pistole her? Kannst du mir das verraten?«
    »Nein«, sagte Nick wahrheitsgemäß. Ihm war der ganze Skandal, wie seine Mutter es nannte, entgangen. Er dachte an die Amokläufe an amerikanischen Schulen und schüttelte sich unwillkürlich. Gab es wirklich so kranke Typen bei ihnen? Es juckte ihn in den Fingern, Colin anzurufen, der wusste vielleicht mehr darüber, aber Colin hob ja nicht ab, der faule Sack. War vielleicht besser, denn wahrscheinlich übertrieb Mum wieder mal gehörig und dieser Sam Lawrence hatte bloß eine Wasserpistole und ein Taschenmesser dabeigehabt.
    »Es ist schon schlimm, was alles schiefgehen kann, während die Kinder groß werden«, sagte seine Mutter und sah ihn mit diesem Blick an, der mein Schnuckelhase sagte, mein Kleiner, mein Baby, du würdest so etwas doch nicht tun?
    Es war dieser Ausdruck, der Nick immer wieder überlegen ließ, ob er vielleicht doch zu seinem Bruder ziehen

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