Das Todeskreuz
Julia waren sie lange
Zeit das Traumpaar schlechthin gewesen. Nadine liebte Frank
aus tiefstem Herzen, und auch bei ihm hatte sie all die Jahre hinweg
geglaubt, es wäre ebenso. Und dann kam Marie-Therese und
mit ihr eine Veränderung, die das Leben der Hellmers aus den Fugen geraten ließ. Nadines ganze Aufmerksamkeit richtete sich nur
noch auf die Kleine, und Frank fühlte sich seitdem offenbar aus
Nadines Leben ausgeschlossen. Zumindest hatte er dies Julia gegenüber
so angedeutet, doch für sie klang es nur wie eine laue
Rechtfertigung für sein Verhalten. Viola Richter - zugegeben eine
Frau, die die meisten Männerherzen nicht nur höherschlagen ließ,
die nicht nur vom Äußeren mehr hergab als die meisten Frauen,
sondern auch intelligent war, und doch, so fand Julia Durant,
einem Vergleich mit Nadine nicht standhielt. Viola Richter und
Frank Hellmer passten einfach nicht zusammen, was er jedoch
nicht zu merken schien oder es nicht wollte. Aber seit er die Affäre
begonnen hatte, war er nicht mehr der Frank Hellmer, den sie kennengelernt
und mit dem sie über so viele Jahre hinweg gerne zusammengearbeitet
hatte. Er war verschlossener geworden, oft ungerecht
in seinen Beurteilungen und noch viel öfter mit seinen Gedanken
nicht bei der Arbeit. Ob und inwieweit Nadine von dieser
Affäre wusste, entzog sich Julias Kenntnis, aber sie hoffte noch
immer inständig, dass dieser Spuk bald ein Ende hatte. Wenn
nicht, würde sie in absehbarer Zeit ein sehr ernsthaftes Gespräch
mit ihm führen und ihm deutlich zu verstehen geben, dass sie unter
diesen Umständen nicht länger mit ihm zusammenarbeiten könne.
Außerdem hatte er, wie sie schon befürchtete, wieder angefangen
zu trinken, ein Zeichen für das schlechte Gewissen, das ihn plagte.
Er war hin und her gerissen zwischen diesen zwei Frauen, zwischen
zwei Welten, und er war überfordert, denn er war unfähig,
eine klare Entscheidung zu treffen. Julia war der festen Überzeugung,
dass Viola Richter nur mit ihm spielte, dass sie seine
Schwachstelle erkannt hatte und ihre eigene unbefriedigende Ehe
mit dem überaus erfolgreichen und angesehenen Psychiater und
Therapeuten Prof. Alfred Richter durch ihn kompensierte. Für Julia
war es eine rein sexuelle Beziehung, nicht mehr und nicht weniger,
denn wäre es anders, hätte Hellmer nicht wieder zur Flasche
gegriffen.
Ich werde Nadine einladen, mich zu besuchen, dachte Durant,
während sie darauf wartete, dass Hellmer ans Telefon kam, ich
muss ihr schließlich meine neue Wohnung zeigen.
»Was gibt's?«, fragte er mürrisch.
»Wir haben eine Tote in Berkersheim. Wann kannst du dort
sein?«
»Halbe Stunde«, antwortete er nach kurzem Überlegen, ließ
sich die Adresse geben und legte auf. Kein Tschüs oder Ciao wie
noch vor einigen Monaten. Sie waren zwar noch Kollegen, mehr
aber auch nicht, was allein an Hellmer lag, der sich immer mehr
in sein Schneckenhaus zurückzog. Sie hatte versucht ihm zu helfen,
sie hatte etliche Male versucht mit ihm zu reden, aber er ließ
nicht einmal sie mehr an sich heran. Dennoch hegte sie die Hoffnung,
er würde eines Tages aufwachen und erkennen, welch gravierenden
Fehler er begangen hatte und immer noch beging, denn
sie mochte Hellmer, auch wenn er im Moment unausstehlich
war.
Julia zog sich eine khakifarbene Jeans und ein flauschiges
Oberteil an. Der Tag war sonnig gewesen, aber es wehte ein kühler
Ostwind, und für die kommende Nacht hatte der Wetterbericht
Tiefsttemperaturen zwischen fünf und null Grad vorhergesagt.
Nach einem langen und erbärmlich kalten Winter ließ der
Frühling auf sich warten. Es hatte viel geregnet in den letzten
Tagen und Wochen, und man konnte nur darauf hoffen, dass bald
eine wärmere Zeit anbrach. Ein letzter Blick durchs Wohnzimmer,
ein Lächeln, dann nahm sie ihre Tasche und schloss hinter
sich ab. Die Stufen knarrten auf dem Weg nach unten. Sie überquerte
die Straße und setzte sich in ihren Corsa. Der Wind hatte
noch etwas aufgefrischt, und ihr war kalt. Sie startete den Motor
und stellte die Heizung auf die höchste Stufe. Nach knapp fünf
Minuten wurde es im Wageninnern warm. Sie hatte keine Lust
auf eine CD, sondern stellte FFH an. Peter Illmann präsentierte
Oldies, momentan lief »Kids in America« von Kim Wilde aus
den Achtzigern. Erinnerungen an ihre erste große Liebe kamen in
Julia Durant hoch, einen Jungen aus der Dreizehn, eine Liebe,
die so schnell endete, wie sie
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