Das Totenschiff
müde, so gewohnt war er diese Arbeit. Er hatte viel Zeit, und die nahm er sich auch ganz unbekümmert. Andre hatten es ja zu bezahlen, warum sollte er sich da beeilen.
Endlich schüttelte er den Kopf und klappte das Buch zu. Offenbar hatte er meine Photographie nicht gefunden. Ich konnte mich auch nicht erinnern, daß ich mich jemals in Antwerpen hätte photographieren lassen. Schließlich wurde ich hundemüde von diesem langweiligen Geschäft, und ich sagte: »Jetzt habe ich aber Hunger. Ich habe heute noch kein Frühstück gehabt.«
»Das ist recht«, sagte der Dolmetscher und führte mich in einen schmalen Raum. Viel Möbel waren nicht drin, und die, die drin waren, die waren nicht in einer Kunstwerkstätte angefertigt worden.
Aber was ist denn das mit dem Fenster? Merkwürdig, das Zimmer hier scheint für gewöhnlich dazu zu dienen, den belgischen Staatsschatz aufzubewahren. Der Staatsschatz liegt hier sicher, denn es kann ganz bestimmt niemand von draußen hier herein, durchs Fenster einmal sicher nicht, no, Sir.
Ich möchte wissen, ob die Leute hier das wirklich Frühstück nennen. Kaffee mit Brot und Margarine. Sie haben sich von dem Kriege noch nicht erholt. Oder wurde der Krieg nur darum gemacht, um sich größere Frühstücke zu verschaffen? Dann haben sie ihn sicherlich nicht gewonnen, was immer auch die Zeitungen schreiben mögen, denn ein solches Krümchen müssen sie schon vor dem Kriege Frühstück genannt haben, weil es das Minimum an Qualität und Quantität ist, das man gerade noch Frühstück nennen kann, weil man das Stück früh bekommt.
Gegen Mittag wurde ich wieder vor den Hohenpriester gebracht.
»Wünschen Sie nach Frankreich zu gehen?« Das wurde ich gefragt.
»Nein, ich mag Frankreich nicht, die Franzosen müssen immer setzen und können nie sitzen. In Europa müssen sie immer besetzen und in Afrika immer entsetzen. Und dieses Setzen macht mich nervös, sie können vielleicht sehr schnell Soldaten brauchen und mich, da ich ja keine Seemannskarte habe, unabsichtlich verwechseln und mich für einen ihrer Setzer halten. Nein, nach Frankreich gehe ich auf keinen Fall.«
»Wie denken Sie über Deutschland?«
Was die Leute alles von mir wissen wollen!
»Nach Deutschland mag ich auch nicht gehen.«
»Warum? Deutschland ist doch ein recht hübsches Land, da können Sie auch wieder leicht ein Schiff bekommen.«
»Nein, ich mag die Deutschen nicht. Wenn ihnen die Rechnungen vorgelegt werden, dann sind sie die Entsetzten, und wenn sie die Rechnungen nicht bezahlen können, dann sind sie die Besetzten. Und weil ich doch keine Seemannskarte habe, könnte man mich dort vielleicht auch verwechseln, und ich müßte mit bezahlen. So viel kann ich ja als Deckarbeiter nie verdienen. Da könnte ich nie die unterste Schicht der Mittelklasse erklimmen und ein wertvolles Mitglied der menschlichen Gesellschaft werden.«
»Was reden Sie so viel herum? Sagen Sie einfach, ob Sie dahin wollen oder nicht.«
Ob sie das verstehen, was ich da sage, weiß ich nicht. Aber es scheint, daß sie viel Zeit haben und froh sind, daß eine Unterhaltung im Gange ist.
»Also, dann kurz und bündig und abgemacht, Sie gehen nach Holland«, sagt der Hohepriester, und der Dolmetscher erzählt es mir wieder.
»Ich mag aber die Holländer nicht«, erwiderte ich, und ich will nun auch gleich erzählen warum, als mir gesagt wird: »Ob Sie die Holländer mögen oder nicht, das geht uns gar nichts an. Machen Sie das mit den Holländern ab. In Frankreich wären Sie am besten aufgehoben gewesen. Aber da wollen Sie ja nicht hin. Nach Deutschland wollen Sie auch nicht, das ist Ihnen nicht gut genug, und jetzt gehen Sie einfach nach Holland. Fertig und Schluß. Eine andre Grenze haben wir nicht. Ihretwegen können wir uns auch keinen andern Nachbar aussuchen, der vielleicht Ihre Wertschätzung erwerben könnte, und ins Wasser wollen wir Sie vorläufig noch nicht schmeißen, das ist die einzige Grenze, die uns noch bleibt als letzte. Also es geht nach Holland und nun Schluß. Seien Sie froh, daß Sie so billig davonkommen.«
»Aber meine Herren, Sie sind im Irrtum, ich will gar nicht nach Holland. Die Holländer sitzen – «
»Ruhig nun. Die Frage ist entschieden. Wieviel Geld haben Sie?«
»Sie haben doch meine Taschen und Nähte alle durchsucht. Wieviel Geld haben Sie denn gefunden?« Da soll man nun nicht wütend werden. Sie durchsuchen einen stundenlang mit Vergrößerungsgläsern, und dann fragen sie noch ganz
Weitere Kostenlose Bücher