Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
Sessel mit einem bequemen Wolkenpuff als Rückenkissen angeboten – weil ich es auf Erden so lange ausgehalten habe –, Jaroslav Seifert und František Langer freuen sich offensichtlich über den frischen Prager Zuwachs. Alle bedrängten mich, wollten einen authentischen Bericht über unsere Kafka-Konferenz von 1963 in Liblice hören, als ob sie gestern stattgefunden hätte und sie nichts oder nur wenig darüber wüßten.«
»Dabei ist das ja langsam schon fast vierzig Jahre her, da hatten sie in der himmlischen Ruhe doch reichlich Zeit, die einzelnen Beiträge abzuwägen und als zu leicht oder zufriedenstellend zu befinden.«
»Das geschah ja hier oben auch. Max Brod amüsiert bis heute, daß gewisse Dummköpfe kontrarevolutionäres Gedankengut zwischen den Zeilen in Kafkas Werk entdeckt zu haben glaubten.«
»Und Franz Kafka selbst?« Es entgeht mir nicht, wie sehr ihn Goldstückers Worte interessieren. Er schaut jetzt nicht hinunter in seine Heimatstadt, nippt an dem Glas mit dem durchsichtigen Getränk, blinzelt ein ganz klein wenig mit den Augen, vielleicht weil er sich so sehr konzentriert, stützt sein Kinn in die schlanke Hand und horcht.
»So würde man in Prag fragen.« Ich vermeine einen leichten Vorwurf in Goldstückers Stimme zu erkennen. »Im Traumcafé herrschen andere Zeit- und Maßstäbe, das habe ich bereits erkannt. Übrigens – Balk und Kisch wollten von mir etwas über dich hören, und Weiskopf behauptet, dich von hier aus vor kurzem bei der respektvollen Besichtigung von Prager Manuskripten im Marbacher Literaturarchiv ertappt zu haben.«
»Das war ein tolles Erlebnis. Stell dir vor, Edo, ich konnte ein Blatt der Handschrift von Kafkas ›Prozeß‹ berühren, sorgfältig geschrieben, mit dünnen Haar- und kräftigen Schattenstrichen. Dabei habe ich – mit Verlaub, Herr Kafka – feststellen können, daß ich mit diesem Großen drei Dinge gemein habe.«
»Geht deine Phantasie nicht wieder einmal ein bißchen mit dir durch?«
»Nein. Diesmal wirklich nicht. Hör bitte zu: Erstens sind wir beide sozusagen waschechte, an Ort und Stelle geborene Prager. Zweitens: Kafka schrieb seine erste Version in Hefte – das tue ich auch. Und schließlich drittens: Ich konnte feststellen, daß er mitunter ein paar Worte stenographierte, vielleicht um schneller vorwärtszukommen.Und das mache ich auch, und ich war stolz, dem Herrn Präsidenten des Literaturarchivs diese Stellen vorlesen zu können.«
»Bist du sicher, daß das auch stimmte?« Mein Freund Goldstücker ist ein wenig skeptisch.
»Durchaus. Auf dem Blatt gibt es nämlich die handschriftliche Übertragung der stenographierten Worte aus der Feder Max Brods. Und so wurde gleich nachgeprüft, ob ich nicht geschwindelt habe.«
Bei diesen Worten blicke ich abermals zu Franz Kafka hinüber. Er hat den Kopf gehoben, nimmt von neuem einen Schluck und lächelt ein bißchen. Hat also alles gehört und verübelt mir meine Indiskretion und den gewagten Vergleich offenbar nicht.
Meinen Mann, den aus Jugoslawien gebürtigen Schriftsteller Theodor Balk, habe ich, als er nach langer Krankheit starb, selbstverständlich auch in meinem Traumcafé untergebracht, in der Hoffnung, er werde sich dort in Gesellschaft seines guten Freundes Egon Erwin Kisch und anderer Kollegen bald von den irdischen Strapazen erholen. War es doch für uns beide nicht einfach, nach den Emigrationsjahren endlich nach Europa zurückkehren zu können, hier aber keine Familie und auch kein Zuhause mehr zu finden. Nur die Städte, das wißt ihr ja, ihr beiden dort irgendwo am luftigen Cafétisch, die Städte gab es noch. Belgrad, grausig zerbombt, Prag, grausig friedvoll und weiterhin schön. Als ob nichts passiert wäre. Oder vielleicht, als ob seine Erhabenheit und liebliche Schönheit alles Unglück der Menschen erbarmungsvoll verdecken wollte.
»Die Misere hat ja auch schon gereicht«, läßt sich Kisch vernehmen und umfängt seine Stadt mit einem sehnsüchtigen Blick, »jetzt sollte man in den Prager Straßenwieder leichten Herzens flirten, sich in den Weinstuben sorglos betrinken und überhaupt normal leben können. Ich habe ja leider von hier aus nur mehr das Nachsehen, genauer gesagt ein blutloses Zusehen.«
»Na, na«, widerspricht ihm sein Jugendfreund, der rundliche Autor des »Braven Soldaten Schwejk«, Jaroslav Hašek, »laß das Gewinsel. Die dort unten sind noch lange nicht aus dem Schlamassel heraus, die werden uns vielleicht oft um dieses Lokal beneiden. – Wo
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