Das Traumcafé einer Pragerin - Erzaehlungen
bleibt denn, gelobt sei die Unerschöpflichkeit, der gebenedeite Ober mit dem nächsten Trunk?«
Im himmlischen Café wird wohl jeder Wunsch eines Gastes sofort erfüllt. Dennoch kann ich mir vorstellen, daß sich Jaroslav Hašek bei diesem lautlos und engelhaft funktionierenden Betrieb mit Wehmut daran erinnert, wie ihn einst die Mutter eines seiner verläßlichsten Freunde, der mit ihm in Krieg und Frieden durch dick und dünn ging, des damaligen Medizinstudenten und später auf den Bühnen nahezu ganz Europas wohl bekannten Dramatikers František Langer, nicht gerade paradiesisch, dafür aber herzerquickend und saftig durchgefüttert hat. Mutter Langer war, wie ihr Sohn berichtete, fast vollkommen taub. Man konnte ihr nur einzelne Worte ins Ohr rufen.
»Aber Sie haben ihr doch ganze Geschichten erzählt, Herr Hašek?«
»Nicht erzählt«, korrigiert er mich, und ein zufriedenes Lächeln erhellt sein wie immer unrasiertes Gesicht mit den gescheit blitzenden pfiffigen Äuglein, »ich habe ihr meine Histörchen direkt in die Ohrmuschel geschrien, meine Liebe. Sie war ein sehr aufmerksames und verständnisvolles Publikum.«
Auch wenn er schon in seinem üblichen Zustand, d. h.mehr oder weniger von Alkohol durchtränkt, im Langerschen Laden eintraf, gegenüber der alten Frau war der rauflustige Autor des »Schwejk«, (der seine Mitmenschen nicht gerade mit Samthandschuhen anzufassen pflegte), geradezu rührend geduldig, ja sanft.
»Gab es für Ihre Mühe auch ein Honorar?«
Sein Mondgesicht erstrahlt in verklärter erdgebundener Erinnerung: »Und was für eins! So etwas Herrliches kennt man in diesem Paradies überhaupt nicht. Dafür hat man hier kein Verständnis. Würste in Essig und Zwiebel! Leberwürste mit Kraut und Knödeln! Dazu einen Schnaps und die richtige Portion Bier. Für so etwas würde ich ohne Bedenken mein seliges Ende gleich wieder hergeben.«
Kann man solche Worte ernst nehmen? Von Hašek vielleicht.
Als du die fünf Kontinente bereist hast, Egon Erwin Kisch, Asien gründlich verändert fandest, China geheim, als du dich im Paradies Amerika und in sieben Ghettos umgetrieben hast, auf ungewöhnliche Weise in Australien gelandet bist und als du schließlich deine Entdeckungen in Mexiko machtest, als der Schriftsteller Theodor Balk, mein Duschko, Schiffsarzt war und die halbe Welt umsegelte, als ihr beide glaubtet, Land und Leute kennenzulernen und bisher Unbekanntes über ihr Tun und Treiben zu erfahren – seid ihr irgendwo ähnlicher, eiskalter, wissenschaftlich berechneter und technisch perfektionierter Massenvernichtung von Menschen auf die Spur gekommen, wie sie in den vierziger Jahren von der allumfassenden Maschinerie der deutschen Faschisten eingeführt wurde? Nicht als Folge kriegerischer Überfälle oder Angriffe von seiten eines gefährlichen Feindes, nein, aus reiner Verblendung, aus Rassenhaß,Vernichtungswut, zügelloser Überheblichkeit und Machtbesessenheit.
Zügellose Machtbesessenheit – hat es das, gewiß in wesentlich unterschiedlicher Verbrämung, nicht auch noch anderswo gegeben? Gibt es sie etwa heutzutage nicht mehr?
Die Antwort aus dem Traumcafé bleibt aus. Man blickt einander über den leer getrunkenen Tassen bloß wortlos an.
»Sie sollte sich lieber nur an Prag halten«, flüstert Kisch deprimiert meinem Mann zu. Die anderen Herren wenden den Blick weg. Selbst an diesem Ort, wo ihnen schon ungestörte Ruhe vergönnt sein sollte, sind sie von neuem zutiefst beunruhigt. Aber nach einer Weile setzt an den runden Tischchen ein allgemeines Kopfschütteln ein. Was soll all das Philosophieren, meinen die respektablen und auf Erden weiterhin geachteten Herrschaften. Vorbei ist vorbei, das weiß sie doch, warum beschäftigt sie sich nicht einfach mit alltäglichen aktuellen Dingen?
»Laßt sie nur«, unverhofft melden sich zwei offensichtlich jüngere Stammgäste zu Wort, der Musiker Karel Reiner und der Schriftsteller Norbert Frýd. Reiner war sein Leben lang ein knabenhaft aussehender, schmächtiger Mann, der in den dreißiger Jahren über die Grenzen seines Heimatlandes hinaus zu den Vorkämpfern der Moderne in der Musik gezählt wurde, als Gefangener im Ghetto Theresienstadt dann Lieder, besonders für die Kinder, komponierte. Mit ihm und mir hatte es folgende Bewandtnis:
Wir gehörten zum selben Freundeskreis, und so kam es, daß ich ihn eines Tages an seiner Arbeitsstätte, dem bekannten tschechischen avantgardistischen Theater D 34aufsuchte, wo er als Komponist,
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