Das Traumtor (German Edition)
meiner Kleidung.
„Wie lange noch, Tustron? Wie viel Zeit bleibt mir noch?“ flüsterte ich bang.
„Nicht mehr viel, Athama.“ Der alte Magier schüttelte traurig den Kopf. „Vielleicht noch ein paar Wochen. Du wirst selbst wissen, wann die Zeit gekommen ist. Dann zögere nicht, Athama, ich bitte dich! Denn gehst du nicht aus freien Stücken, muß ich all meine Macht einsetzen, um dich aus dieser Welt zu vertreiben. Ich kann nicht zulassen, daß sie durch dich Schaden nimmt. Aber dabei könnte es geschehen, daß du zwischen den Welten verloren gehst, und was das bedeutet, kann nicht einmal ich dir sagen.“
„Ich schwöre dir, daß ich gehen werde, Tustron! Denn wie könnte ich zulassen, daß Rowin etwas geschieht?“ sagte ich. „Es schmerzte mich schon, ihn niederschlagen zu müssen, da ich fürchtete, er könne sonst deinem Zorn zum Opfer fallen.“
„Das ist nur ein Gerücht, daß ich ausstreuen ließ, um nicht dauernd belästigt zu werden“, lächelte Tustron. „So kann ich sicher sein, daß nur Menschen zu mir kommen, die wirklich Hilfe brauchen und die Gefahr auf sich nehmen, weil ihnen sonst keinen Ausweg mehr bleibt. Du hättest Rowin nicht niederzuschlagen brauchen. Ich hätte ihn in Schlaf versenkt, sobald ihr hier angekommen wäret, da ich allein mit dir sprechen wollte. Doch sei unbesorgt. Ich werde das schon wieder geradebiegen. Wenn er erwacht, wird er von deinem Schlag nichts mehr spüren. Er wird sich erinnern mit dir hier gewesen zu sein, obwohl er diesen Turm ja nie betrat. Er wird auch wissen, daß du den Schlüssel zu deiner Welt von mir erhalten hast. Doch was das für ein Schlüssel ist, wird er nicht wissen. Aber er wird auch nicht danach fragen, dafür werde ich sorgen. Niemand außer dir soll von der Existenz dieser Tropfen wissen. Ich werde auch für die Zeit eurer Reise die Erinnerung an die bevorstehende Entscheidung von Rowin nehmen, denn ich möchte, daß ihr in der euch verbleibenden Zeit so glücklich seid, wie es eben geht. Leider kann ich nicht das gleiche mit dir tun, denn dein Geist entzieht sich meiner Macht. Aber ich schenke dir Rowins Vergessen für diese kurze Weile. Mehr kann ich leider nicht für dich tun. Willst du, daß es so geschieht?“
„Ich danke Euch, Tustron“, sagte ich, und wirklich war das ein großes Geschenk für mich. „Rowin glücklich zu sehen in diesen letzten Wochen ist mein sehnlichster Wunsch. Ich kam mit Angst vor Euch im Herzen, aber ich scheide mit Dank. Mögen die Götter Euch Eure Gaben vergelten! Wenn sich auch meine zaghafte Hoffnung nicht erfüllt hat, so danke ich Euch dennoch, denn Ihr rettet den Mann, dem zu schaden mir noch größeres Leid zugefügt hätte. Leb wohl, und ich bitte Euch: Wacht über Rowin! Denn ich fürchte für ihn, wenn er feststellen muß, daß er mich verloren hat. Lindert sein Leid, wenn es in Eurer Macht liegt. Denn durch nichts hat er das Schicksal verschuldet, das ihn treffen wird. Hätte ich nur gewußt, was ich ihm damit antue – niemals wäre ich Targil gefolgt!“
„Es lag nicht in deiner Entscheidungsgewalt, das zu tun“, erwiderte der Weise. „Als sich das Tor erst einmal geöffnet hatte, mußtest du seinem Sog folgen. Und denke auch einmal daran, daß du ein Glück gefunden hast, wie es nur wenigen vergönnt ist, auch wenn es nur für kurze Zeit währte. Du weißt, daß alles seinen Preis hat. Frage dich selbst, ob du wirklich auf deine Zeit mit Rowin hättest verzichten wollen, wenn dir der Schmerz der Trennung dadurch erspart geblieben wäre.“
Ich senkte den Kopf. Dann hob ich den Blick und schaute voll in diese blassblauen Augen, in denen ich jetzt erst die unendliche Güte entdeckte, die ihren Tiefen schimmerte.
„Ihr habt Recht, Tustron!“ sagte ich dann. „Um nichts in der Welt würde ich diese Zeit, dieses Glück missen wollen. Wenn ich auch alles verliere, eines wird mir immer bleiben: die Erinnerung!“
„Ja, du wirst dich erinnern, Athama“, lächelte der Weise voll Mitleid. „Und vielleicht wird eines Tages auch für dich die Erinnerung ihre Bitterkeit verlieren und nur noch die Süße des genossenen Glücks enthalten. Doch nun komm! Nicht länger sollst du deine kostbare Zeit an mich verschwenden. Genieße jede Minute, die die Götter dir und Rowin noch schenken.“
Ich folgte ihm zum Eingang des Turms. Dort gab er mir eine Laterne. „Sei vorsichtig auf dem Pfad“, sagte er. „Er ist steil, und ich möchte nicht, daß du dich verletzt.“ Dann legte er seine
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