Das Traumtor (German Edition)
bestimmt. Und du bist auch kein Teil dieser Welt, sondern ein Fremdkörper, der ihren Lauf in schiefe Bahnen lenken wird. Auch wenn du sie jetzt nicht beherrschen kannst, sind die Kräfte, das Schicksal zu leiten, weiterhin in dir. Du kannst sie nicht kontrollieren, denn du stehst nicht über den Dingen, sondern bist nun in sie eingereiht. So wirken sie blind, ungezügelt, und du kannst nichts tun, ihren Lauf zu bestimmen. Und darum mußt du gehen, damit nicht Schreckliches geschieht. Bleibst du zu lange in dieser Welt, kann es sein, daß der erste, den das Unheil trifft, gerade Rowin ist, denn er ist dir am stärksten verbunden. Hat nicht schon das Schicksal seiner Hand nach ihm ausgestreckt? Stand nicht der Tod bereits an seiner Seite?“
„Aber wie kann ich denn Rowin schaden?“ fragte ich. „Ich liebe ihn so sehr, daß ich bereit wäre, mein Leben für ihn zu geben.“
„Ich weiß das“, sagte Tustron sanft, „und ich vermute, daß diese Liebe ihn bis jetzt vor größerem Schaden bewahrt hat. Sie scheint ihn wie ein Schild vor den Kräften zu schützen, die dich umgeben. Doch wer weiß, wie lange dieser Schild die gewaltige Mächte abhält, die dich wie flammende Blitze umtosen. Du siehst sie nicht und spürst nicht das Inferno, das dich umgibt wie gleißendes Feuer. Doch ich kann sie wahrnehmen. Nur meine eigenen Kräfte schützen mich davor, auch in ihren Bann zu geraten wie alle anderen um dich. Sie sind nicht böse, sie sind nur fremd und stören die Harmonie dieser Welt. Könntest du sie steuern – wer weiß – viel Gutes möchte uns daraus erwachsen. Du könntest sein wie einer unserer Götter, doch – niemals ein Weib für einen unserer Menschen!“ Er sah mich voll Mitgefühl an. „Du fühlst es selbst, nicht wahr, sonst wärest du nicht hier.“
„Oh Tustron, gibt es denn gar keinen Ausweg für Rowin und mich?“ fragte ich verzweifelt.
„Nein, Athama!“ antwortete der Weise. „Denn auch die Liebe, die er empfindet, ist geboren in deiner Welt. Du hast mit Rowin den Mann geschaffen, den du dir wünschtest, und du hast ihm unbewußt die Sehnsucht nach dir eingepflanzt. Daher ist eure Liebe auch so tief, so allumfassend, wie man sie nur selten bei den Menschen findet. Ihr beide seid im wahrsten Sinne des Wortes für einander geschaffen, obwohl ihr nicht für einander bestimmt sein könnt. Daher wird auch die Sehnsucht nach Rowin nie in die erlöschen, denn er ist für dich die Sehnsucht nach dem Mann schlechthin. Es tut mir Leid für dich, Athama“, sagte er leise, „aber Rowins Wunden werden irgendwann heilen, wenn er auch lange um dich trauern wird. Aber du? In jedem Mann wirst du nach ihm suchen, und findest du vielleicht auch eines Tages eine neue Liebe, so wirst du doch auch in diesem Mann nur Rowin lieben – den Mann, den du für dich geschaffen hast.“
Er schwieg, und ich starte mit tränenblinden Augen in die Flammen des großen Kamins. Eine tiefe Resignation schlich sich in mein Herz, das sich immer noch nicht geschlagen geben wollte.
„Kann ich denn nie mehr zurückkehren? Werde ich Rowin nie wieder sehen, wenn ich eure Welt verlasse?“ Alles in mir bäumte sich auf, sperrte sich gegen diese Endgültigkeit, gegen dieses unerbittliche „niemals“. Was blieb mir denn, wenn es keinerlei Hoffnung gab?
„Nur deine Träume werden dich noch hierher zurückführen“, antwortete Tustron. „Zwar könnte es Rowin vielleicht gelingen, zu dir zu kommen, wenn in ihm der Wunsch dazu so viel Macht bekommt, daß er das Tor errichten kann. Doch das ist mehr als unwahrscheinlich, denn die Furcht vor deiner Welt in ihm ist mächtig und wirkt dem Wunsch entgegen. Du selbst jedoch kannst das Tor nur noch einmal öffnen, nämlich um diese Welt zu verlassen, und das auch nur mit meiner Hilfe.“ Er zog aus der Tasche seines Kaftans eine kleine Phiole mit einer blutroten Flüssigkeit. „Hier, nimm das!“ sagte er. „Wenn du fühlst, daß die Zeit gekommen ist, trink das Fläschchen leer. Dann werden die dich umgebenden Kräfte für einen Augenblick gesammelt und werden dich in deine Welt zurückschleudern. Doch achte gut auf die Ampulle! Nie wieder kann ich diese Tropfen herstellen. Schon dieses eine Mal haben meine Kräfte knapp gereicht, um diese winzige Menge zu gewinnen. Versuchte ich es ein zweites Mal, wäre das mein Untergang.“
Wie in Trance nahm ich die Phiole entgegen. Mechanisch steckte ich sie in den kleinen Beutel, denn ich um den Hals trug, und verbarg ihn wieder unter
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