Das Traumtor (German Edition)
an der Küste entlang, aber immer wieder versperrten uns gewaltige Felsblöcke den Durchgang und wir mußten oft Umwege machen. In dieser Nacht liebten wir uns mit einer wilden Leidenschaft, die mehr aus Verzweiflung und Angst als aus echtem Verlangen geboren war. Lange lagen wir wach, fest aneinander geklammert, stumm, nur die Nähe des anderen mit jeder Faser des Körpers wahrnehmend. Wer konnte sagen, ob es uns je wieder vergönnt sein würde?
Ein bleicher Morgen kroch aus der nebelverhangenen See, deren monotones Rauschen ich sonst so geliebt hatte, das mich jetzt jedoch mit jeder Brandungswelle einer Trennung von Rowin näher kommen lassen konnte. Jede Welle verschlang kostbare Sekunden, nahm sie mit sich, spülte sie unwiederbringlich hinab in die Tiefe der Zeit.
Trotz des Nebels, der sich auch über Tag kaum lichtete, sahen wir gegen Nachmittag die dunkle Silhouette des Turms auf der riesigen Klippe. Wie ein drohender Finger erhob sie sich gegen den grauen Himmel, Warnung und Verheißung zugleich. Konnte ich den Magier nicht auch um etwas anderes bitten als um einen Weg zurück in meine Welt? Vielleicht war er mächtig genug, mir das zu gewähren, was ich mir mehr als alles andere auf der Welt wünschte: ein Leben mit Rowin! Ein Hoffnungsstrahl durchzuckte das Dunkel meiner Furcht, doch ich wagte nicht, diesem Gedanken Raum zu geben. Wie groß wäre meine Enttäuschung, erwiese er sich als Trug! Setzte ich nicht überhaupt zu viel Vertrauen in die Kräfte, deren Existenz ich noch vor kurzer Zeit angezweifelt hatte? Zauberei, Magie, übersinnliche Mächte – das alles hatte ich zwar in meinen Büchern beschrieben, doch es gehörte für mich nur ins Reich der Phantasie. Aber war das nicht das Reich der Phantasie? Und war ich nicht durch eben diese Kräfte hierhergekommen? Der leise Hauch der Hoffnung ließ sich nicht vertreiben!
Wir waren am Fuß der Klippe angelangt und begannen nun, nach dem verborgenen Aufstieg zu suchen. Nach einiger Zeit fanden wir ihn. Ein steiler, kaum sichtbarer Pfad führte von Brombeersträuchern überwuchert in einer Felsrinne nach oben. Als wir die Pferde angebunden hatten, wollte Rowin sofort voransteigen, doch ich hielt ihn zurück.
„Ich bitte dich, laß mich allein gehen!“ beschwor ich ihn. „Wenn mir dort wirklich Gefahr droht, so ist sie von einer Art, der du nichts entgegenzusetzen hättest. Dann würdest auch du umkommen, und dein Volk, das dich braucht, hätte dich verloren. Bin ich aber von Tustron sicher, so kehre ich bald zurück. Ich will nicht, daß du dich wegen meines Wunsches schon wieder in Gefahr begibst. Dein Leben ist für so viele Menschen von Wert, daß ich nicht zulassen kann, daß du es für mich schon wieder aufs Spiel setzt.“
Doch Rowin wollte nichts davon hören. „Sag, was du willst“, entgegnete er stur, „ich werde um nichts in der Welt hier unten in Angst und Sorge um dich vergehen. Wenn Tustron dir Übles will, so muß er erst an mir vorbei. Nicht noch einmal lasse ich dich allein in eine Gefahr gehen. Du wirst mich nicht davon abhalten.“
Er wandte sich um und wollte den Pfad hinausgehen. Es blieb mir keine andere Wahl: Wollte ich ihn daran hindern, konnte es nur mit Gewalt geschehen! Doch ich mußte es tun, so weh es mir auch selbst tun würde. Ich hakte mein Schwert aus und schlug ihm mit dem massiven Heft über den Hinterkopf. Ohne einen Laut sackte er zusammen. Ich fing seinen Sturz ab und ließ ihn niedergleiten. Mit raschem Griff zog ich die Decken von einem der Packpferde und breitete sie auf dem kurzen Gras aus, das am Fuß der Klippe wuchs. Dann schleifte ich Rowin hinüber, legte ihn auf die Decken und hüllte ihn darin ein, damit er nicht auskühlte. Ich hatte durch mein Training mit Rowin gelernt, die Wucht meiner Schläge zu dosieren und wußte daher, daß er höchstens ein bis zwei Stunden bewußtlos sein würde. Dann würde er zwar eine Beule und einen Brummschädel haben, aber er würde leben, was immer auch mit mir geschehen mochte. Kehrte ich jedoch zurück, so würde er mir den Schlag wohl irgendwann verzeihen. Noch einmal schaute ich nach, ob er es bequem hatte, dann begann ich den beschwerlichen Aufstieg. Nach etwa einer halben Stunde mühsamer Kletterei hatte ich den Turm erreicht. Es wurde schon dunkel und ich bemerkte, daß im Turm eines der schmalen Fenster erleuchtet war. Mit klopfendem Herzen und zugeschnürter Kehle hämmerte ich gegen die schwere Tür, die mit eisernen Bändern beschlagen war. Dann
Weitere Kostenlose Bücher