Das Traumtor (German Edition)
Gefühl tiefen Bedauerns auf. „Doch denk mal daran, daß ich zuhause Freunde zurückließ, eine Welt, die ich liebe, ein Haus, eine Arbeit, die mir Freude macht, kurz – ein ganzes, erfülltes Leben! Ich würde für lange Zeit sehr unglücklich sein, das alles verloren zu haben.“
„Ich verstehe dich sehr gut“, sagte Rowin, „Auch wenn ich es bedauere, daß du uns so schnell wieder verlassen willst. Aber ich habe bereits Befehl gegeben, daß unsere Pferde zwei Stunden vor der Mitte der Nacht bereitstehen. Wir werden dich alle drei auf deinem Weg begleiten.“
Ich lächelte Rowin zu, und dabei fiel mir ein, daß ich mich bei Deina noch nicht ein-mal für ihr kostbares Geschenk bedankt hatte: Sama, die wunderschöne Stute! Ich dankte ihr für die Gabe und schloß: „Aber leider werde ich sie wohl nicht mitnehmen können, denn in meiner Welt hätte ich nur wenig Verwendung für sie. Und wer weiß, ob sich das Tier dort überhaupt wohlfühlen würde? Ich werde sie gern heute Abend noch einmal reiten, denn sie hat einen sanften Schritt. Da ich nicht gewohnt bin, im Sattel zu sitzen, ist das für mich sehr angenehm. Dann aber bitte ich dich, sie wieder zurückzunehmen.“
Die Erinnerung an meinem baldigen Aufbruch hatte das heitere Gespräch versiegen lassen, und so gingen wir bald wieder hinein. Deina fragte mich, ob ich mich ein wenig niederlegen wolle, bevor wir zu Abend aßen, da ich ja in der vergangenen Nacht nicht geschlafen hatte. Aber ich spürte keine Müdigkeit, und seltsamerweise waren auch die Gliederschmerzen vom Reiten kaum noch zu spüren. Außerdem wollte ich die wenigen Stunden, die mir noch in dieser Welt verbleiben würden, nicht unnötig vergeuden. So folgte ich Deina, die mir den Palast zeigen wollte, und wir verbrachten einige Zeit auf einem der Türme, von wo aus sich ein herrlicher Blick über die Stadt hinaus und die weite Landschaft Valamins bot. Deina erzählte mir viel von Targil und wie glücklich sie miteinander waren. Begeistert berichtete sie mir, daß Rowin versprochen hatte, ein großes Fest zu geben als Hochzeitsfeier für sie und Targil. Zwar hatte der Bruder sie bereits auf ihrer Flucht von der Veste Bordal miteinander verbunden, aber die offizielle Hochzeit sollte erst stattfinden, wenn sie nach Varnhag zurückgekehrt waren, im Hause ihrer Väter – so wie es der Brauch war. Ich freute mich mit der jungen Frau und war befriedigt, daß sie all das Schwere, das sie hatte durchmachen müssen, fast vergessen zu haben schien. Aber ich hatte auch bemerkt, mit wie viel Liebe und Zärtlichkeit Targil sie umgab, und so war es nicht verwunderlich. Als es dunkel wurde, fanden wir uns wieder in den Raum zusammen, in dem wir gefrühstückt hatten. Das Abendbrot verlief recht schweigsam, und mir fiel auf, das Rowin die Speisen kaum berührte. Auch ich selbst hatte wenig Appetit, denn der bevorstehende Abschied machte mir das Herz schwer. Fast wünschte ich, länger bleiben zu können, doch die Angst vor der Endgültigkeit eines solchen Schrittes war größer als mein Bedauern.
Viel zu schnell verfloß die Zeit bis zum Aufbruch, und dann ritten wir zu viert in die sternenbekränzte Nacht hinaus, über der ein zarter Duft von blühenden Wiesen lag. Niemand sprach ein Wort. Die dunkle Landschaft glitt unter den Pferdehufen dahin wie die Erinnerung an einen schönen Traum.
Je mehr wir uns der Gegend näherten, in der Targil von jenem geheimnisvollen Nebel aufgenommen worden war, desto weher wurde mir ums Herz. Targil und Deina ritten voraus, doch Rowin hielt sich dicht an meiner Seite, und immer wieder bemerkte ich, daß sein Blick zu mir herüber flog.
Plötzlich verlangsamte Targil den Schritt. Gleich darauf hielten wir neben ihm. Er deutete nach vorn.
„Ich kann mich erinnern, daß ich an diesem Wald da noch vorbei geritten bin.“ sagte er. „Dann aber verlässt mich jede Erinnerung.“
„Dann werden wir jetzt auch an dem Wald vorbei reiten“, entschied Rowin. „Vielleicht kommen wir dann zu dem Nebel.“
Doch wir passierten den Wald, ohne daß sich etwas Besonderes zeigte. Die sternklare Nacht war hell, und man konnte weit sehen. Aber nirgends zeigte sich auch nur ein schwacher Dunst, geschweige denn eine so dichte Nebelwand, wie sie über der Wiese hinter meinem Haus gelegen hatte. Wir teilten uns, um ein größeres Gebiet absuchen zu können. Deina und Targil schlugen einen nördlichen Bogen, wogegen Rowin und ich uns nach Süden wandten. Kreuz und quer ritten wir die
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