Das unendliche Blau
gelernt. Das waren die Wahlfächer, die ich niemals auf meinen ehrgeizigen Stundenplan gesetzt habe. Und nun muss sie mit einer Situation umgehen, die ihr das Äußerste abverlangt, und wenn nicht noch ein Wunder geschieht, wird sie Bitterkeit in ihre Zukunft tragen.
Hilfesuchend sieht Martha zu Hans. Er fängt ihren Blick auf, sieht schulterzuckend zu Michele, der mit ein paar Nettigkeiten versucht, die Situation zu entspannen, und legt Lina die Hand auf den Arm.
Silvio übernimmt es, Robert, Catherine und Francesca vorzustellen.
»Ich hoffe, ihr zwei mögt auch Lamm?«, fragt er.
Vater und Tochter nicken.
»Na, Gott sei Dank. Ich dachte schon, wir hätten hier heute irgendwelche Vegetarier dabei.«
»Und ich dachte immer, Yogis essen kein Fleisch«, entgegnet Lina und sieht Michele herausfordernd an.
»Aha, Martha hat schon von mir erzählt? Also gut, ich mache Yoga und kann mir ein Leben ohne nicht mehr vorstellen, aber in Sachen Essen bin ich Italiener. Ich esse zwar nicht viel Fleisch, aber hin und wieder ein Braten ist was Wunderbares. Und Silvio hat gute Lieferanten an der Hand.«
»Eher meine Mutter. Die kennt jeden Bauern in der Umgebung«, erwidert Silvio, gießt drei Gläser mit Weißwein voll und reicht sie Martha, Hans und Lina.
»Das ist das Haus Ihrer Mutter, oder?«, fragt Lina. Eine Verlegenheitsfrage, denkt Martha.
»Ja. Hier bin ich aufgewachsen«, erwidert Silvio. »Ich komme oft aus Bologna her, um zu arbeiten. Man hat seine Ruhe hier oben. Kann den Geist fliegen lassen. Und nicht so förmlich, schönes Mädchen, das mit dem Du vorhin war ernst gemeint.«
Lina wird rot. »Wo ist deine Mutter heute?«, bringt sie hervor.
»Sie hat sich hingelegt. Ist eben eine alte Signora …«
Hans mischt sich ein: »Du schreibst Bücher?«
»Ja, damit verdiene ich mein Geld.«
»Welche Richtung?«
»Die Leute nennen es Philosophie. Ich sage immer, ich versuche, den Menschen die Welt zu erklären.«
»Ziemlich ehrgeiziger Plan.«
»Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Nein, im Ernst, das Leben ist ein abenteuerlicher Trip. Da kann man hin und wieder einen Reiseführer ganz gut gebrauchen.«
»Ein Yogi mit missionarischem Eifer«, erklärt Robert und grinst.
»Yogi ja, Missionar nein. Und nun brauche ich Küchenhilfen.«
Es werden Messer und Holzbretter verteilt. Salat, Knoblauch, Zwiebeln, Tomaten, Kartoffeln, Kräuter kommen auf den Tisch. Silvio schneidet Salami und stellt sie mit Oliven und Brot dazu, damit jeder sich bedienen kann.
Nero springt schwanzwedelnd von einem zum anderen, um etwas Wurst zu ergattern, bei Lina hat er den größten Erfolg. Während sie immer wieder etwas von der Salami nach unten abgibt, hackt sie Knoblauch. Sie tut das mit Akribie.
Francesca hält inzwischen Vorträge über die Küche der Emilia-Romagna. Sie hat dabei diesen typisch dozierenden Lehrerinnenton, stellt Martha fest.
Catherine mischt sich ein und erzählt von ihren Verwandten aus dem Friaul, die sie und Robert bald besuchen wollen und bei denen es eine Tante gebe, die sich einbilde, die besten Gnocchi Italiens zu machen.
Hans hilft Silvio, das Lammfleisch zu parieren. Er hantiert geschickt mit dem schmalen scharfen Messer, und Martha muss daran denken, wie sie vor vielen Jahren mit ihm in der Küche stand. Hätten sie eine Chance gehabt, wenn sie nicht so unnachgiebig gewesen wäre? Mit beiden Händen schiebt sie die Gemüseabfälle vor sich zusammen und wirft sie in den dafür vorgesehenen Mülleimer. Ihre Frage wirft sie dazu. Weg mit dem ganzen Was-wäre-gewesen-wenn … Solche Gedanken versperren nur die Sicht auf das, was ist. Und heute ist ein guter Tag. Keine Müdigkeit, keine Schmerzen, kein Schwindel. Sie fühlt sich erstaunlich wohl, als hätte jemand ihr diese Stunden geschenkt und dabei keine Bedingungen gestellt.
Hans erzählt Silvio unterdessen von den Lämmern in Schleswig-Holstein, die auf Salzwiesen an der Nordsee weiden und einen ganz besonderen Geschmack haben. Er wechselt immer wieder ins Italienische, obwohl sich heute alle eher auf Englisch unterhalten, wegen Robert, der achselzuckend zugibt, er habe bislang nicht besonders viel gelernt in dieser Schule in Bologna. So was wie ihn nenne man wohl einen hoffnungslosen Fall. Aber das scheint ihn nicht besonders zu stören. Und während er Tomaten zerkleinert, kreist er um sein Lieblingsthema – Männer und Frauen. Sie seien im Grunde nicht kompatibel, erklärt er irgendwann und hebt sein Glas. Dass sie’s immer wieder
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