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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diethelm Kaminski
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Abgaben auf alle Vorräte, unabhängig von Größe, Lautstärke,
Geschlecht und Alter der Tiere. Nur Schlangen und Würmer waren ausgenommen. Die
verkrochen sich und waren doch nie auffindbar. Die Kontrolle der Abgaben war
den Füchsen, das Einsammeln den Wölfen übertragen worden.
    „Wie ungerecht“,
beklagten sich die Okapis „Wir sind extrem leise, stören keine anderen Tiere
und sollen ebenso viel abgeben wie die lärmenden Affen?“
    „Na und?“,
sagten die Affen. „Unsere sogenannten Regierungsvertreter haben mal wieder das
Maul zu weit aufgerissen, bevor sie nachgedacht haben. Wie wollen die Wölfe
denn wohl die Abgaben einsammeln? Auf die Bäume klettern und sie
höchstpersönlich abholen? Was uns betrifft, machen wir Krach wie immer und
werfen den Löwen keine einzige Banane in den Rachen.
    „Ihr habt gut
reden“, sagten die Wildschweine. „Wie sollen wir Schweine denn wohl auf die
Bäume gelangen?“
    „Habt ihr es
denn wenigstens schon einmal versucht?“, verhöhnten die Affen sie, die es zu
gerne erlebt hätten, dass die Schweine auf ihre frechen Schnauzen fielen.
    „Vergrabt euer
Futter doch wie wir“, schlugen die Streifenhörnchen vor, die sich schon darauf
freuten, die Verstecke der Wildschweine zu plündern.
    „Wo bleiben
die Steuereinnahmen?“, fragten die Löwen die Steuereintreiber, die Füchse und
Wölfe. „Fast ein Monat ist vergangen, seit der königliche Steuererlass in Kraft
getreten ist. Und wir haben immer noch nicht genug zu fressen. Das kann nicht
sein. Fresst ihr etwa alles selber?“
    „Wir hungern
selber, denn wo immer wir auch hinkommen, gibt es nichts zu holen. Da können
wir noch so sehr mit strengen Strafen bis hin zur Todesstrafe drohen. Die Tiere
schweigen, und wo geschwiegen wird, können auch keine Steuern erhoben werden.
Nur die Affen lärmen weiter, aber sie sitzen unerreichbar hoch in den Baumgipfeln.“
    „Auf so einen
billigen Trick fallen Könige nicht herein“, tobten die Löwen. „Dann erheben wir
eben Schweigesteuern, dann haben wir die notorischen Steuerhinterzieher wie
Schlangen und Würmer gleich mit im Boot. Und nun an die Arbeit. Wir haben einen
Löwenhunger.“
    Sobald die
Papageien die Änderung des Steuergesetzes verkündet hatten, erhob sich ein
ohrenbetäubender Lärm im Dschungel. Selbst die sonst so stillen Okapis wurden
gesprächig. Nur die Schlangen und Würmer verkrochen sich noch tiefer in Laub
und Dickicht.
    „Ein zweites
Mal können wir den Löwen nicht mit leeren Händen unter die Augen treten, dann
werden wir selber gefressen“, sorgten sich die Füchse und Wölfe. „Uns bleibt
nur eins: auswandern, und zwar sofort. Irgendwohin, wo es keine Löwen und keine
Steuern gibt.“
    Dieser
Entschluss ist der Grund dafür, warum es auf der ganzen Welt Füchse und Wölfe
gibt. Gegenden ohne Löwen fanden die Auswanderer auch, aber keine, in denen
nicht auch Steuern erhoben wurden.
    Und wenn sie
nicht gestorben sind, dann suchen sie noch heute.

Schlafstörungen
     
     
     
    Hundert Jahre sind eine lange Zeit.
Wer meint, sie würden spurlos an einem Königreich, an einem Königshof
vorübergehen, der hat sich gründlich getäuscht.
    Hundert Jahre
in einem klimatisierten Glassarg ruhen, anschließend bestens erholt und mit
rosigen Wangen heraussteigen und dort wieder anknüpfen, wo man aufgehört hat,
als sei in der Zwischenzeit nichts geschehen – wie naiv.
    Eltern,
Geschwister, Verwandte längst gestorben, und die wenigen Überlebenden der
Königsfamilie mit Schimpf und Schande davongejagt. Aus und vorbei mit der
Monarchie. Ein peinlicher Irrtum der Geschichte.
    Das
Königsschloss bis auf die Grundmauern niedergebrannt. Der Wiederaufbau für
Landesregierung und Investoren viel zu teuer. Ein Glassarg hat indes alle
Bomben- und Artillerieangriffe zweier großer Kriege unbeschadet überstanden.
Qualitätsarbeit. Die besten Glaser und Sargtischler haben seine Haltbarkeit
präzise für eine Dauer von hundert Jahren berechnet. Wo gibt es solche
Wertarbeit noch heute. An Grabräubern hat es nicht gefehlt. Die waren weniger
an der weiß gekleideten Luxuspuppe im Sarg, als vielmehr an den glitzernden
Geschmeiden an Hals und Handgelenken der Schlafenden interessiert. Keinem ist
es gelungen, den Sarg aufzubrechen.
    Trümmer und
Staub, Unkraut und Dornen haben den Sarg verschüttet und überwuchert. Selbst in
gut informierten Räuberkreisen ist er samt seiner fetten Beute in Vergessenheit
geraten.
    Der Zufall
will es, dass Kinder beim Spielen in

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