Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diethelm Kaminski
Vom Netzwerk:
ein fröhliches Lied und lacht sich kaputt über meine leere Drohung. Das
macht mich noch wütender und gibt mir das Gefühl, dem Winzling grenzenlos
unterlegen zu sein. Ich überlege, ob ich meine Zwille holen und den frechen
Eindringling erledigen soll, da streckt Selma, meine Nachbarin, ihren
Lockenkopf über meine Ligusterhecke.
    „Tag, Herr
Brodersen, seit langem beobachte ich das muntere Rotkehlchen in Ihrem Garten.
Haben Sie es dressiert? Es scheint sehr an Ihnen zu hängen. Ständig ist es in
Ihrer Nähe. In meinem Garten hat es sich noch nie blicken lassen. Ich bin schon
richtig eifersüchtig.“
    „Ja“, stimme
ich ihr zu, „irgendwas muss an mir sein. Vielleicht weil es auch aus
Norddeutschland kommt. Und wie ich in den Süden verschlagen wurde.“
    „Und woher
wollen Sie das wissen?“, fragt Selma.
    „Weil es
Plattdeutsch mit mir spricht“, sage ich, „ein ziemlich intelligenter Vogel.“
    „Ich wusste
gar nicht, dass Sie die Sprache der Vögel verstehen.“
    „Tue ich gar
nicht“, gebe ich mich bescheiden, „aber Plattdeutsch verstehe ich recht gut,
auch wenn ich es nicht selber sprechen kann. Schließlich habe ich meine Jugend
auf dem Land in Dithmarschen verbracht.“
    „Und da hat
sich das Rotkehlchen in Sie verliebt und ist Ihnen hierher gefolgt“, spottet
Selma.
    „Wer weiß“,
sage ich, „Hochdeutsch hat es jedenfalls bis heute nicht gelernt.“
    „Und das
nehmen Sie ihm übel?“
    „Tue ich“,
sage ich, „wer sich in der Fremde nicht anpassen will, hat dort nichts
verloren, oder soll ich etwa Plattdeutsch lernen, nur damit ich mich mit einem
Rotkehlchen über Wetter und Nestbau unterhalten kann?“
    „Kann es sein,
dass Sie Heimweh haben, ganz mächtiges Heimweh, und deswegen die Vögel Plattdeutsch
reden hören?“
    „So is dat. De
Deern hat recht“, ruft das Rotkehlchen mir von der Tannenspitze aus zu, wo es
noch immer sitzt und mein Gespräch mit Selma belauscht hat.
    „Haben Sie
gehört?“, rufe ich Selma zu.
    „Doch“, sagt
Selma, „schön der Gesang der Rotkehlchen. Deswegen möchte ich ja auch so gerne
eins als Dauergast in meinem Garten. Schenken Sie es mir?“
    „Von mir aus“,
sage ich, „ich fürchte nur, das Rotkehlchen wird den Umzug nicht mitmachen.“
    „Na, wie ist
es?“, rufe ich zu dem Rotbauch hoch. „Möchtest du umziehen? Bei Selma geht es
dir besser als bei mir.“
    „Du wöllst mi
los warn, aber dat wart nix. Ik bleev hier, ob di dat passen deit oder nich.“
    „Haben Sie
gehört? Es will nicht. Dann müssen Sie uns eben besuchen kommen.“
    „Aber Sie
müssen übersetzen“, lacht Selma. „Ich dulde keine Geheimnisse zwischen euch
beiden.“

Die Blumenwiese
     
     
     
    Um den Ansturm der heiratswilligen
Prinzen einzudämmen, dachte sich Prinzessin Pelegrina immer neue unlösbare
Aufgaben aus. Zwar drängte sie ihr alter Vater, besorgt um die Thronfolge,
endlich einen Bewerber zu erhören, aber Pelegrina verspürte so gar keine Lust
aufs Heiraten. Alles, was ihr ihre Tanten und Cousinen über ihre Ehen erzählt
hatten, klang höchst abschreckend. Anpassung, Unterwerfung, Verlust der
Freiheit, nichts als Ärger, Streit und Langeweile. Pelegrina fügte sich nur
scheinbar den Wünschen ihres Vaters, doch in Wahrheit setzte sie alles daran,
den unvermeidlichen Tag X so lange wie möglich hinauszuzögern. „Ich heirate
doch nicht den ersten besten Dummkopf. Ich wünsche mir einen klugen
Mann. Und den erkenne ich daran, dass er meine Aufgabe löst. So haben das alle
Prinzessinnen unserer Dynastie gehandhabt. Und immer hatten sie die
Unterstützung ihres Vaters. Du wirst doch wohl nicht deine einzige Tochter im
Stich lassen?“
    Pelegrina
hatte den Bewerbern die schwierigsten Rätsel vorgelegt. Sie hatte sie in
verwirrende Buchsbaumheckenlabyrinthe gelockt. Die Rätsel hatte niemand lösen
können, und im Labyrinth waren sogar drei Prinzen verhungert, weil sie nicht
mehr herausgefunden hatten.
    Allmählich
gingen Pelegrina die Ideen aus. Doch als sie hinaus auf die bunte Blumenwiese
im prachtvollen Palastgarten blickte, hatte sie einen neuen Einfall. Diese
Aufgabe vermochte mit Sicherheit kein Bewerber zu lösen.“ Wer errät, wie viele
verschiedene Blumen und Kräuter auf der Wiese wachsen, den werde ich zum Manne
nehmen, doch bei der geringsten Abweichung von der tatsächlichen Zahl ist das
Leben des Freiers verwirkt.“
    Bevor sie die
neue Aufgabe auf allen öffentlichen Plätzen im Reich aushängen ließ, rief sie
den Königlichen

Weitere Kostenlose Bücher