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Das unsichtbare Volk

Das unsichtbare Volk

Titel: Das unsichtbare Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diethelm Kaminski
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bemerkt, dass das der Bettpfosten
war.“
    „Gut gemacht“,
sagte Rotkäppchen. „Das geschieht dir recht. Was hast du auch an meiner
Großmutter zu knabbern.“
    „Hätte ich
bloß auf deinen Kuchen gewartet“, seufzte der alte Wolf. „Aber ich hatte
solchen Hunger und konnte nicht warten. Das hab ich nun davon.“
    „Was hast du
wovon?“, fragte Rotkäppchen.
    „Meinen
letzten Zahn habe ich mir ausgebrochen. Nun kann ich gar nichts Festes mehr
beißen.“
    „Gut so“,
sagte Rotkäppchen. „Endlich kannst du keinen Schaden mehr anrichten.
    Bilde dir aber
nicht ein, dass wir dir was von dem Kuchen abgeben.“
    „Sei nicht so
hartherzig. Ich hab dir doch gar nichts getan. Und deiner Großmutter auch
nicht.“
    „Aber du hast
es versucht.“
    „Deine
Großmutter hat nicht mal mitgekriegt, dass ich in ihrer Hütte war, so fest hat
sie geschlafen. Auch wenn ich nicht mehr zu vielem nütze bin, könnte ich doch
auf deine Großmutter aufpassen. Es weiß und sieht doch keiner, dass ich alt und
zahnlos bin. Vor Wölfen haben alle Angst.“
    „Keine
schlechte Idee“, sagte Rotkäppchen. „Das würde mich etwas entlasten. Ich hab in
letzter Zeit so viel Stress in der Schule. Da kann ich schlecht jeden zweiten
Tag zu Großmutter gehen. Und was verlangst du für deinen Wachdienst?“
    „Na was schon.
Was abhaben von den Esssachen, die du deiner Großmutter regelmäßig bringst. Sie
hat doch sicherlich auch kaum noch Zähne im Maul, und ihr Magen dürfte auch
nicht mehr alles vertragen. Sie ist wie ich auf leicht verdauliche und
magenfreundliche Kost angewiesen. Genau das Richtige für mich.
    Und Rotwein
wäre auch nicht schlecht. Vielleicht kann ich dann endlich besser schlafen.“
    „Dann muss ich
ja noch mehr schleppen, wenn ich zwei Mäuler stopfen soll. Aber sei´s drum. Ich
mach´s. Dann stell ich dich jetzt meiner Großmutter vor.“
    Sie gingen
gemeinsam in Großmutters Hütte. Die Tür war nie verschlossen. Das ersparte
Großmutter das Aufstehen. Sie war nicht mehr gut zu Fuß und lag deshalb den
ganzen Tag im Bett.“
    „Guten Tag,
Großmutter“, rief Rotkäppchen. „Ich bin´s, Rotkäppchen. Ich habe dir heute
etwas ganz Besonderes mitgebracht.“
    „Wieder so
einen trockenen Pulverkuchen wie letztes Mal? Und der Wein war auch viel zu
sauer“, murmelte die Großmutter, ohne die Augen zu öffnen.
    „Nein, etwas
Lebendiges, damit du nicht so einsam bist und jemanden hast, der auf dich
aufpasst.“
    „Ich will
keine Haushaltshilfe. Das habe ich dir hundert Mal gesagt. Ich komme noch sehr
gut alleine zurecht.“
    „Keine
Haushaltshilfe. Einen Hund. Ein braves Tier. Komm, fühl selbst, streichele ihn
mal.“
    Rotkäppchen
ergriff Großmutters welke Hand und legte sie auf das Fell des alten Wolfes.
    Der leckte
freudig Großmutters Handgelenk und schielte gleichzeitig nach Rotkäppchens
zugedecktem Korb.
    „Fühlt sich
gut an“, sagte Großmutter. „Aber er soll nicht bellen. Und versorgen muss er
sich auch selbst.“
    „Kein Problem.
Ich habe genug Kuchen und Wein für euch beide mitgebracht. Das reicht, bis ich
Ende der Woche wiederkomme. Vertragt euch gut. Und nun lasst uns essen und
trinken.“

Vogelstimmen
     
     
     
    „Was lungerst du hier rum, mach die
Fliege“, rufe ich dem Rotkehlchen zu, „in meinem Garten hast du nichts zu
suchen.“
    Frag mich
nicht, warum ich den Vogel nicht leiden kann. Tatsache ist, dass mir seine
Gegenwart auf den Wecker geht. Obwohl er sich still verhält, sofern ein Vogel
sich überhaupt still verhalten kann. Natürlich tschilpt er ab und zu, hüpft auch
auf dem Rasen umher und fliegt von einem Busch zum anderen. Aber das Wenige ist
schon zu viel. Am meisten aber ärgert es mich, dass der Vogel spricht, und
nicht mal richtig Hochdeutsch, sondern Plattdeutsch, was mir von vornherein ein
Dorn im Auge ist, weil es mich an meine verkorkste Kindheit auf dem Lande
erinnert.
    „Wat hev ik
die daan, dat du so grantig büs?“, protestiert er.
    „Das ist mein
Garten“, verteidige ich mein Terrain. „Hau ab, du Landei, lern erst mal richtig
Deutsch.“
    „Und du hest
keen blassen Dunst vun mine leeve Moderspraak. Du argerst di ja blot, dat du
keen Platt snacken kannst.“
    „Werd bloß
nicht frech“, rufe ich, „sonst lass ich meinen Kater raus, damit er dir den
Kopf abbeißt.“
    „Un dat schall
ich di glöven? Din Katt is blind und lam, de kann mi im Leven nich gripen.“
Blitzschnell ist das Rotkehlchen auf die Spitze einer Tanne geflogen, singt
dort

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