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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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Geschworenen lächelten, und sie rutschten auf ihren Stühlen herum und kratzten sich am Kopf, weil niemand wußte, was er tun sollte. »Das habe ich noch nie erlebt«, flüsterten sie.
    Im Gesetz hieß es, daß ein Blinder von der Geschworenenpflicht entbunden werden kann, und als der Richter das Wort kann sah, beschloß er schleunigst, Mr. Grimes zu besänftigen und sich später mit ihm zu beschäftigen. Es hatte keinen Sinn, sich im eigenen Gerichtssaal verklagen zu lassen. Es gab andere Wege, ihn von der Geschworenenpflicht zu entbinden. Er würde mit den Anwälten darüber sprechen. »Wenn ich mir's recht überlege, Mr. Grimes, glaube ich, daß Sie einen vorzüglichen Geschworenen abgeben würden. Bitte, nehmen Sie wieder Platz.«
    Herman Grimes nickte, lächelte und sagte höflich: »Danke, Sir.«
    Wie bezieht man einen blinden Geschworenen in seine Überlegungen ein? Die Experten ließen sich diese Frage durch den Kopf gehen, während sie zusahen, wie er sich langsam bückte und sich hinsetzte. Welche Vorurteile hatte er? Für welche Seite würde er sich entscheiden? In diesem Spiel ohne Regeln war man durchweg der Ansicht, daß Leute mit Handicaps und Behinderungen großartige Anklage-Geschworene waren, weil sie besser verstanden, was Leiden bedeutet. Aber es gab unzählige Ausnahmen.
    In der hintersten Reihe beugte sich Fitch nach rechts, in dem vergeblichen Versuch, Blickkontakt mit Carl Nussman aufzunehmen, dem Mann, der für das Auswählen der perfekten Jury bereits 1,2 Millionen Dollar erhalten hatte. Nussman saß inmitten seiner Kollegen, hielt einen Block in der Hand und musterte die Gesichter, als hätte er genau gewußt, daß Herman Grimes blind war. Er hatte es nicht gewußt, und Fitch wußte es. Es war eine unbedeutende Tatsache, die durch das riesige Netz ihrer Recherchen hindurchgerutscht war. Was war ihnen sonst noch entgangen? fragte sich Fitch. Er würde Nussman das Fell abziehen, sobald die Sitzung unterbrochen wurde.
    »Also, meine Damen und Herren«, fuhr der Richter fort, jetzt mit etwas schärferer Stimme und begierig, weiterzukommen, nachdem er gerade eine sofortige Klage wegen Diskriminierung abgewendet hatte. »Wir kommen jetzt zu einer Phase der Geschworenen-Auswahl, die etwas zeitraubend ist. Dabei geht es um körperliche Gebrechen, die Ihre Entlassung bewirken könnten. Wir wollen Sie nicht in Verlegenheit bringen, aber wenn Sie ein körperliches Problem haben, dann müssen wir jetzt darüber sprechen. Wir beginnen mit der ersten Reihe.«
    Als Gloria Lane im Gang neben der ersten Reihe Position bezogen hatte, hob ein ungefähr sechzigjähriger Mann die Hand und ging durch die kleine Schwingtür der Schranke. Ein Gerichtsdiener führte ihn zum Zeugenstand und schob das Mikrofon beiseite. Der Richter rückte ans Ende des Podiums und beugte sich herunter, damit er sich flüsternd mit dem Mann unterhalten konnte. Zwei Anwälte, einer von jeder Seite, ließen sich unmittelbar vor dem Zeugenstand nieder und nahmen den Zuschauern die Sicht. Die Protokollführerin vervollständigte das Grüppchen, und als alle ihre Plätze eingenommen hatten, erkundigte sich der Richter leise nach dem Leiden des Mannes.
    Es war ein Bandscheibenvorfall, und er hatte einen Brief von seinem Arzt dabei. Er wurde entlassen und verließ eiligst den Saal.
    Als Harkin um zwölf für die Mittagspause unterbrach, hatte er dreizehn Personen aus medizinischen Gründen entlassen. Die Langeweile hatte eingesetzt. Sie würden um halb zwei wieder zusammenkommen, um noch eine ganze Weile auf diese Art weiterzumachen.
    Nicholas Easter verließ das Gerichtsgebäude allein und wanderte sechs Blocks zu einem Burger King, wo er einen Whopper und eine Cola bestellte. Er saß in einer Nische in der Nähe des Fensters, schaute Kindern zu, die auf einem kleinen Spielplatz schaukelten, überflog ein USA Today und aß langsam, weil er anderthalb Stunden Zeit hatte.
    Dieselbe Blondine, die, damals in engen Jeans, in den Computerladen gekommen war, trug jetzt weitgeschnittene Shorts, ein lose sitzendes T-Shirt und neue Nikes; über ihrer Schulter hing eine kleine Sporttasche. Sie führte eine zweite Begegnung herbei, indem sie mit ihrem Tablett in der Hand an seiner Nische vorbeiging und stehenblieb, als sie ihn wiederzuerkennen schien.
    »Nicholas«, sagte sie, Unsicherheit vortäuschend.
    Er sah sie an, und eine peinliche Sekunde lang wußte er, daß sie sich schon einmal begegnet waren. Ihr Name fiel ihm nicht ein.
    »Sie erinnern

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