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Das Urteil

Titel: Das Urteil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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einer weißen Sonnenblende über dem Neuesten an reflektierenden Sportsonnenbrillen, das lange Haar zu einem hübschen, perfekten Pferdeschwanz zusammengerafft. Sie schob eine Joggingkarre mit einem Baby darin. Traci lebte für Schweiß. Sie war braungebrannt und fit, aber nicht so dünn, wie zu erwarten gewesen wäre. Sie hatte ein paar schlechte Angewohnheiten. Ein weiterer Schnappschuß von Traci in ihrem schwarzen Mercedes-Kombi mit Kindern und Hunden an jedem Fenster. Ein weiterer von Traci beim Einladen von Tüten voller Lebensmittel in denselben Wagen, Traci mit anderen Laufschuhen und knappen Shorts und dem präzisen Erscheinungsbild von jemandem, der es ständig darauf anlegt, athletisch zu wirken. Sie war leicht zu beschatten gewesen, weil sie immer bis an die Grenze der Erschöpfung beschäftigt war und nie lange genug innehielt, um sich umzusehen.
    Carl zeigte die Aufnahmen vom Haus der Wilkes, eine große Vorstadtvilla, die überall den Stempel Arzt trug. Er vergeudete nur wenig Zeit mit ihnen und sparte sich das Beste bis zuletzt auf. Traci erschien, wieder einmal schweißgebadet. Ihr Designer-Fahrrad lag nahebei im Gras, und sie saß unter einem Baum im Park, weit weg von allen anderen Leuten, halb versteckt - und rauchte eine Zigarette!
    Der Fotograf grinste verlegen. Es war sein bestes Stück Arbeit, dieser Schnappschuß aus hundert Meter Entfernung: eine Arztfrau, die heimlich eine Zigarette rauchte. Er hatte keine Ahnung gehabt, daß sie rauchte, sondern hatte gerade selbst zufällig in der Nähe einer Fußgängerbrücke in aller Ruhe eine Zigarette geraucht, als sie vorbeisauste. Er hielt sich ungefähr eine halbe Stunde in dem Park auf, bis er sah, wie sie anhielt und in die Satteltasche ihres Fahrrads griff.
    Die Atmosphäre im Zimmer war einen flüchtigen Augenblick lang etwas entspannter, während sie Traci unter dem Baum betrachteten. Dann sagte Carl: »Es versteht sich wohl von selbst, daß wir Nummer siebenundfünfzig nehmen werden.« Er machte sich eine Notiz auf einem Blatt Papier, dann trank er einen Schluck Kaffee aus einem Pappbecher. Natürlich würde er Traci Wilkes nehmen! Wer hätte nicht gern eine Arztfrau in der Jury, wenn die Anwälte der Klägerin Millionen verlangten? Carl wollte nichts als Arztfrauen, aber er würde sie nicht bekommen. Die Tatsache, daß sie Zigaretten rauchte, war lediglich ein kleiner Bonus.
    Nummer achtundfünfzig war ein Werftarbeiter bei Ingalls in Pascagoula - fünfzig Jahre alt, weiß, geschieden, Gewerkschaftsfunktionär. Carl projizierte ein Foto seines Ford-Pickups auf die Leinwand und war gerade im Begriff, seine Lebensumstände zusammenzufassen, als die Tür aufging und Mr. Rankin Fitch das Zimmer betrat. Carl brach ab. Die Anwälte richteten sich auf ihren Sitzgelegenheiten auf und waren auf der Stelle völlig hingerissen von dem Ford. Sie machten sich eifrig Notizen auf ihren Blocks, als ob sie womöglich nie wieder einen solchen Wagen zu sehen bekommen würden. Auch die Jury-Berater brachen in hektische Betriebsamkeit aus und machten sich gleichfalls angestrengt Notizen. Allesamt vermieden es tunlichst, den Mann anzusehen.
    Fitch war wieder da. Fitch hatte den Raum betreten.
    Er machte langsam die Tür hinter sich zu, tat ein paar Schritte auf den Tisch zu und funkelte einmal in die Runde. Es war schon fast eher ein bösartiges Fauchen. Das schwammige Fleisch um seine dunklen Augen herum verkniff sich. Die tiefen Querfalten auf seiner Stirn zogen sich zusammen. Seine massige Brust hob und senkte sich langsam, und ein oder zwei Sekunden lang war Fitch der einzige Mensch, der atmete. Seine Lippen öffneten sich zum Essen und Trinken, gelegentlich zum Reden, aber nie zu einem Lächeln.
    Fitch war wütend, wie gewöhnlich; das war nichts Neues. Der Mann schlief sogar in einem Zustand der Feindseligkeit. Aber würde er fluchen und Drohungen ausstoßen, vielleicht sogar mit Gegenständen werfen, oder lediglich unter der Oberfläche brodeln? Bei Fitch wußte man das nie. Er blieb an der Tischkante zwischen zwei jungen Anwälten stehen, die Juniorpartner waren und erfreuliche sechsstellige Gehälter bezogen, Angehörige der Kanzlei, die in diesem Zimmer, in diesem Gebäude ansässig war. Fitch dagegen war ein Fremder aus Washington, ein Eindringling, der jetzt seit bereits einem Monat auf ihren Korridoren knurrte und bellte. Die beiden jungen Anwälte wagten nicht, zu ihm aufzuschauen.
    »Welche Nummer?« fragte Fitch Carl.
    »Achtundfünfzig«, sagte

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